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Wir nennen es Politik

Wir nennen es Politik

Titel: Wir nennen es Politik
Autoren: Marina Weisband
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schaffen. Indem wir ausnahmsweise mal nicht mit Spott und Hohn und Schadenfreude oder Empörung reagieren, sondern mit Verständnis. Oder einfach mal die Klappe halten. Oder gar Ideen liefern. Das könnte man ja auch mal. In so einem Brief an einen Abgeordneten.
    Es soll auch geschimpft werden. Wir leben in einem freien Land mit Redefreiheit und allem. Man sollte sich nur bewusst sein, dass das Geschimpfe dazu führt, dass noch mehr unter den Teppich gekehrt wird, und wir so immer höhere Erwartungen an Politiker haben. Ein Teufelskreis. Diesen Teufelskreis muss man an zwei Stellen gleichzeitig durchbrechen, darum ist es ja so schwierig. Einerseits müssen politisch aktive Personen offener werden. Andererseits müssen aber auch wir, die nicht Gewählten, offener und toleranter werden. Konstruktiver. Und ja, das ist viel verlangt. Aber es ist auch ein aufbauender Gedanke. Anstatt uns immer nur zu ärgern, was alles schiefläuft, weil »die da oben« nichts tun, können wir darüber nachdenken, was eigentlich jeder Einzelne von uns tun kann.
    Jedes Mal, wenn wir schreiben: »Politikerin XY ist eine miese Dreckschlampe«, tut ihr das weh. So einfach. Nein, sie ist nicht automatisch zu weit weg, um es zu hören. Und wenn doch, hat sie sich möglicherweise nur abgeschottet, um genau solchen Kommentaren zu entgehen. Das Rezept hier ist also total einfach: Schreiben Sie so etwas nicht.
    Ich fühle mich etwas doof, dass ich auf solche Dinge hinweisen muss. Aber ich glaube, es ist nötig. Auf jeden Fall wird es der erste Schritt zu einer vernünftigen Kommunikation zwischen Politiker und Wähler. Sie ärgern sich aber nun mal und wollen Ihrem Ärger auch Luft machen, denn das ist ein freies Land und außerdem wollen Sie niemandem in den Arsch kriechen? Gut. Dann kritisieren Sie, aber tun Sie es konstruktiv. »XY ist eine Dreckschlampe« und »XY soll bitte das nächste Mal ihre Pläne frühzeitiger kommunizieren« sind sehr verschiedene Aussagen, die zu sehr verschiedenen Ergebnissen kommen werden.
    Ich habe mit vielen Journalisten gesprochen, die richtig verstört waren von den Kommentaren unter ihren Artikeln. »Das interessiert doch keine Sau!«, steht unter fast jedem mindestens einmal drunter. Und das ist noch einer der netteren Kommentare. Also lesen Journalisten die Kommentare unter ihren Artikeln mit der Zeit nicht mehr. Also werden sie auch nichts an ihrer Arbeit verbessern. So einfach ist der Mechanismus. Wenn es Sie nicht interessiert – dann lesen Sie doch den Artikel einfach nicht. Lassen Sie Platz für Menschen, die den Artikel interessant fanden, aber nach mehr Hintergründen fragen. Dann habendie Kommentare auch wieder einen Sinn. Gleiches gilt in der Politik. Ja, Politiker bekommen durchaus mit, wie über sie gesprochen wird. Und ja, wenn man sich schon die Mühe macht, halbwegs konstruktiv zu sein, dann kann man auch erwarten, ernster genommen zu werden. Dann können wir uns guten Gewissens hinstellen und sagen: Warum lässt meine Stadt mir eigentlich so wenig Möglichkeiten, mit zu entscheiden, wofür sie mein Steuergeld verwendet?
    Gute Kinderstube ist also tatsächlich sehr sinnvoll, auch in der großen Politik. Klingt vielleicht doof, ist aber so. Um wie Erwachsene behandelt zu werden, sollten wir uns auch wie welche benehmen. Und wir sollten jedem Paroli bieten, der andere beleidigt und fertigmacht. Ob das Opfer ein Schulkind auf dem Pausenhof ist, ein Mitarbeiter im Büro oder die Bundeskanzlerin. Alle haben das Recht darauf, anständig behandelt zu werden.
    Außerdem stellt eine zeitgemäße Demokratie natürlich auch ganz neue Anforderungen an jeden darin lebenden Menschen. Das Grundprinzip der vernetzten Demokratie ist, dass jeder mehr Verantwortung für sich selbst trägt. Dann muss der Staat weniger Verantwortung für alle tragen. Das bedeutet mehr Freiheit und weniger Bevormundung. Es bedeutet aber auch, dass wir Abschied nehmen müssen von einer reinen Konsumentenhaltung. Das ist anstrengend, auch für mich. Aber es lohnt sich. Doch was sind die Voraussetzungen dafür, dass Menschen so eine moderne Demokratie auch nutzen können?
Nehmen Sie sich in Acht vor einfachen Antworten!
    Populismus wirkt. Ich bemerke es immer wieder. Im Stuttgarter Bürgermeisterwahlkampf lächeln mich Männer von Plakaten an. »Einer für Stuttgart«, steht da. Ein Spruch ungefähr so bedeutungsschwanger wie »Gut für Deutschland«. Es müssen einfache Botschaften sein. Freundliche Gesichter, hochgekrempelte Ärmel,
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