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Wir nennen es Politik

Wir nennen es Politik

Titel: Wir nennen es Politik
Autoren: Marina Weisband
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Einleitung
    Nehmen Sie dieses Buch nicht zu ernst. Es ist von einer 24-jährigen Studentin geschrieben, also was kann man davon erwarten? Für ein gutes Buch über Politik benötigt man einen guten Überblick. Man braucht Erfahrung und sollte alles darüber wissen, wie Menschen in der Politik funktionieren und wie das politische Geschäft genau abläuft. Bloß weiß das leider keiner. Also behelfen wir uns mit mittelguten Büchern über Politik. Das heißt, nicht die Bücher selbst sind mittelmäßig, im Gegenteil, es gibt ganz hervorragende Bücher. Aber ihre Autoren haben immer nur eine begrenzte Perspektive auf die Dinge. Politiker haben ihre Erfahrung, Politologen und Soziologen stochern in ihren Wissenschaften herum und Psychologen können bestenfalls Aspekte des menschlichen Handelns erklären. Sie alle fügen ihre Kenntnisse und ihre Überlegungen zu einem Mosaik zusammen, das unser Wissen und Verständnis über politische Vorgänge darstellt. Und nicht einmal dieses Mosaik, dieses gemeinschaftliche Werk, macht wirklich verständlich, was wir tun. Und dann bin da noch ich. Ich habe fast keine Erfahrung. Ich habe mich auch nie tiefer mit Politologie befasst. Die Zeit, die ich in der Politikverbracht habe, beschränkt sich im Kern auf ein Jahr. Das interessanteste aller Jahre. Ein Jahr, in dem ich so viel gelernt habe wie in meinem ganzen erwachsenen Leben zuvor nicht. Es wäre doch sehr schade, meine darin gewonnenen Ideen nicht aufzuschreiben.
    Man kann von diesem Buch nicht den großen Erfahrungsschatz erwarten, nicht die Erklärung unseres politischen Systems. Aber eines habe ich, was mein Mosaik wertvoll macht und worüber kein erfahrener Politiker verfügt – einen ungetrübten Blick auf das System, frei von Betriebsblindheit. Das ist nämlich das Problem mit Experten. Ein Experte wird einer, indem er sich jahrelang mit einem Thema beschäftigt. Er dringt immer tiefer in den Urwald seines Themas ein, bis er jeden Ast und jeden Stein auswendig kennt. Er kennt die Schleichwege und die gefährlichen Stellen, er nennt jeden Quadratzentimeter beim Namen. Und während den wahren Experten jeder neue Ast und jeder Spross fasziniert, verliert er nach und nach die Faszination für den Wald selbst. Oft vergisst er sogar, dass er sich in einem befindet. Oder dass es unweit davon auch einen See und eine Stadt gibt. Er vergisst die Menschen, die noch nie einen Wald betreten haben und die sich in seinem Reich fremd fühlen würden. Aus diesem Grund macht ein genialer Mathematikprofessor noch lange keinen guten Mathematiklehrer. Aus diesem Grund kann ein Anfänger einen erfahrenen Poker-Spieler schlagen. Als Experte ist man bestimmte Regeln und Prozesse so gewohnt, dass man sich nicht mehr in einen Laien hineinversetzen kann. Und das Schlimmste: Man kann sich schwerer an neue Gegebenheiten anpassen. Experten sindwichtig. Aber Laien an bestimmten Stellen eben auch. Wir sind auf Laien angewiesen, weil sie Fehler in vorhandenen Systemen schneller erkennen und naiv Fragen stellen. Laien werden umso wichtiger, wenn Umstände sich verändern. Denn gerade als Laien sind wir Menschen auch so anpassungsfähig – wir kommen unfertig zur Welt. In unserem Unwissen erkunden wir sie regelmäßig neu und finden neue Ideen, wie wir damit umgehen können.
    Ich bin ein Jahr lang staunend wie ein Kind durch die höchste Organisation des deutschen Miteinanders, die Bundespolitik, gegangen und habe wunderschön ausgetüftelte Systeme und gewaltige Risse gefunden. Ich, als jemand, die sich in ihrem Leben niemals für Politik interessiert hatte, habe eine Leidenschaft dafür entwickelt, als ich verstanden habe, was sie im Kern ist. Also schreibe ich darüber. Fast ohne Erfahrung. Aber mit vielen, vielen frischen Ideen und mit viel Motivation.
    Zuerst möchte ich klären, was Politik für mich bedeutet. Der Begriff selbst wirkt erst einmal abschreckend. Wenn man ihn ausspricht, weht im gleichen Atemzug der Geruch von Anzügen und Geld, Konferenztischen und weißhaarigen Männern mit. Er klingt nach Intrigen, Korruption, nichtssagenden Phrasen und Wahlplakaten. So sieht es zumindest für die meisten unpolitischen Menschen aus. Wenn man das unter Politik versteht, kann ich niemandem verübeln, dass er sich nicht dafür interessiert. Aber eigentlich ist Politik etwas ganz anderes.
    Gehen wir doch einmal zurück zu den Wurzeln. Wenn wir wissen wollen, was Politik ist, müssen wir wissen, werwir sind. Wir sind Homo sapiens, eine hoch entwickelte
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