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Wir nennen es Politik

Wir nennen es Politik

Titel: Wir nennen es Politik
Autoren: Marina Weisband
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Spezies, die auf dem Planeten Erde haust. Jeder von uns hat den Drang zu lernen, zu entwickeln, in Kontakt mit anderen zu treten. Jeder von uns hat eine eigene Gedankenwelt und eigene Erinnerungen und Erfahrungen. Das macht uns alle wertvoll. Wir wollen, dass es uns möglichst gut geht, dass wir möglichst viel Wohlbefinden und Glück erlangen. Aber wir haben dafür verschiedene, egoistische Motive. Oft steht das Glück des Einen dem Glück des Anderen im Weg. Das macht die Sache recht kompliziert, denn wir leben in Rudeln und haben untereinander komplizierte soziale Gefüge aufgebaut.
    Damit wir uns nicht gegenseitig die Köpfe einschlagen, haben wir Kommunikation entwickelt, die komplex genug ist, um uns auf Kompromisse und Regeln zu einigen. Zum Beispiel haben wir es geschafft, Territorien einzuteilen, in denen verschiedene Menschen verschiedene Rechte haben. Wenn beide Seiten die Grenzen achten, müssen sie nicht ständig darum kämpfen. So haben wir ein Stück Frieden erreicht. Jede Regel, auf die wir uns geeinigt haben, hat Vor- und Nachteile. Zwangsläufig verliert man an einer Stelle, gewinnt an einer anderen. Das ganze Ziel des Spiels ist also, die Regeln so festzulegen, dass möglichst viele dabei möglichst gut wegkommen. Politik bedeutet für mich genau das. Alle Menschen sollen durch Kommunikation und Festlegen von Regeln letztlich glücklicher werden. Das klingt banal, aber banal ist gut. Banal bedeutet, sich auf die Basis zurückzubesinnen und das eigentliche Ziel anzustreben. Wir leben heute in einer Welt, in der wir uns im komplizierten Gefüge aus gesellschaftlichen Konventionen,marktwirtschaftlichen Überlegungen und Unterhaltungsveranstaltungen so viele neue Ziele gesetzt haben, dass wir Gefahr laufen, die wichtigsten aus den Augen zu verlieren oder zu vergessen. Darum ist es gut, immer einen Schritt zurückgehen und eine Banalität formulieren zu können. »Der Ball ist rund«, »Bananen sind gut« und »Politik hat das Ziel, alle Menschen möglichst glücklich zu machen«.
    Wir sehen, dass Politik erst einmal etwas ist, das von allen gemacht wird. Denn die Kompromisse unseres Alltags verhandeln wir selbst. Wir formen dadurch unsere Umwelt. Das Problem ist nun, dass die Zusammenhänge immer größer wurden und an einem politischen Prozess mehr Menschen beteiligt waren, als physisch daran teilnehmen konnten. Teilweise war die Entfernung zwischen den Menschen zu groß, teilweise passten nicht alle Beteiligten an einen Ort. Also entwickelte sich die Gepflogenheit, Repräsentanten zu wählen. Ich erspare mir an dieser Stelle eine ausführliche historische Betrachtung aller politischen Systeme. Wer sich dafür interessiert, kennt die Grundzüge schon; wer sich nicht dafür interessiert, für den spielt die Betrachtung keine Rolle. Denn über viele Umwege und Komplikationen sind wir hier in Deutschland bei einem Nationalstaat gelandet, der durch eine repräsentative Demokratie verwaltet wird, in der Abgeordnete vom Volk gewählt werden und über Gesetze – also Regeln und Kompromisse – abstimmen.
    Jeder Mensch verfügt über die Macht, seine Umwelt zu verändern. Einen Teil dieser Macht gibt er durch seine Stimme einem Abgeordneten, der für ihn auf Landes- oderauf Bundesebene Entscheidungen trifft. Und das System war bisher in Ordnung. Es war nicht perfekt, aber es funktionierte seit dem Krieg ganz gut. Nur in letzter Zeit sehnen sich die Bürger so sehr nach mehr Mitbestimmung, dass man den misslungenen Begriff »Wutbürger« dafür erfand. Sie drückten große Unzufriedenheit mit der von ihnen selbst gewählten Regierung aus, sie begannen, auf die Straße zu gehen wegen Energieversorgung oder Bahnhöfen. Die Frage, die sich zuerst stellt, ist: »Womit sind sie unzufrieden?« Aber ich glaube, diese Frage ist nicht ganz treffend. Die Antwort auf diese Frage würde nur Symptome korrigieren, nur kleine Oberflächlichkeiten anpassen. Die richtige Frage ist: »Warum sind sie unzufrieden?« Die Antwort darauf lautet: weil das politische System nicht mehr der Zeit und den Umständen entspricht.
    Politische Systeme unterliegen im Laufe der Zeit großen Veränderungen. Wir hatten Stammesherrschaft, Feudalismus, absolutistische Fürstenherrschaft, aufgeklärten Absolutismus, parlamentarische Monarchie, Republiken, repräsentative und direkte Demokratien, Oligarchien und viele Abwandlungen und Unterkategorien davon. Man kann jetzt behaupten, jedes dieser Systeme sei der Wille einzelner Akteure gewesen, so
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