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Wir nennen es Politik

Wir nennen es Politik

Titel: Wir nennen es Politik
Autoren: Marina Weisband
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viele Bereiche meines Lebens bestimmt? Ist das nicht viel wichtiger als der Austausch in Anime-Foren? Das ist es. Das ist der Grund, warum meine Generation mit dem jetzigen Politiksystem unzufrieden ist. Neben all seinen Schwächen bezüglich Korruption, Inhaltsleere, Richtungslosigkeit und all den anderen Vorwürfen ist die größte Schwäche des aktuellen politischen Systems: Es passt nicht mehr zu unserem Denken.
    Dabei müssen wir natürlich im Blick behalten, dass das Internet nicht die Lösung aller Probleme ist. Viele befürchten, dass Leute wie ich sich dafür einsetzen, möglichst alles digital zu gestalten, dass die Welt vor ihnen davonrennt, dass alles schneller und blinkender sein muss. Aber das stimmt nicht. Ich selbst sehe im Internet viele Probleme. Zum Beispiel trägt es neben anderen Medien dazu bei, unsere Aufmerksamkeitsspanne zu verringern. Wir gewöhnen uns daran, drei Dinge gleichzeitig zu tun und in einem immer schnelleren Wechsel der Themen zu existieren. Wir kommen kaum noch zur Ruhe, weil wir immer und überall erreichbar sein und alles wissen müssen. Wir sprechen im Schutz der scheinbaren Unsichtbarkeit schlimme Dinge gegenüber anderen aus. Das sind alles Probleme, mit denen wir uns befassen müssen. Abersie sind kein fester Bestandteil der vernetzten Kommunikation. Sie sind eher ein Zeichen mangelnder Medienkompetenz bei uns allen. Je älter das Medium wird, desto mehr Verhaltensregeln im Umgang damit lernen wir. Zum Beispiel müssen wir als Gesellschaft erst noch begreifen, dass am anderen Ende des Chats auch ein Mensch sitzt, der Emotionen hat. Wir müssen für uns Regeln aufstellen, wie wir mit E-Mails verfahren, die uns im Urlaub erreichen. Das sind Fragen des Umgangs, nicht der Infrastruktur selbst. Denn wann immer etwas Neues auftaucht, tut es gut zu sehen, wo die Chancen und Gefahren liegen, und mit beidem umzugehen. Ich plädiere dafür, die Chancen politisch zu nutzen.
    Es geht mir in diesem Buch nicht darum, mit einer bösen Kaste von Politikern abzurechnen. Sie sind nicht böse und viele ihrer Taten in der Vergangenheit, und teilweise auch in der Gegenwart, erfüllen mich mit Hochachtung. Ich will vielmehr eine Hilfestellung liefern, damit wir den Anpassungsprozess, der vor uns steht, möglichst gut hinbekommen.
    Es geht mir in diesem Buch auch nicht darum, Werbung für die Piratenpartei zu machen. Ich bin Mitglied der Piratenpartei, ich hatte mal eine wichtige Funktion inne und ich bin sehr froh darüber, in dieser Partei zu sein. Natürlich habe ich das Gefühl, dass sie am meisten über diese Veränderungen nachdenkt, womit ich mir auch ihren Aufstieg erkläre. Aber ausnahmsweise geht es nicht um eine einzige Partei. Mir geht es um die Gesellschaft. Mir geht es darum, dass möglichst viele andere Parteien diese Ideenübernehmen. Mir geht es besonders aber auch um alle Menschen, die nicht Mitglied einer Partei sind. In Wirklichkeit lastet die Verantwortung jetzt auf ihren Schultern. Denn eine gesellschaftliche Veränderung ist nicht Sache »derer dort oben«. Eine gesellschaftliche Veränderung betrifft alle. Man muss sie nur wollen.
    Warum will ich diese Veränderung so sehr? Warum will ich, dass mehr Bürger in der Politik mitsprechen können, mehr Mitgestaltung über Online-Werkzeuge, Einsicht in politische Prozesse? Warum will ich Menschen bilden, aufklären, ihnen die schwere Last von Verantwortung geben? Vor allem – warum sollten sie das wollen? Weil wir es können. Nein, ernsthaft – wir haben erst jetzt die Möglichkeiten für derartig optimierte Kommunikation zwischen allen. Und das bedeutet, dass wir die Bedürfnisse der anderen besser einschätzen können. Und das bedeutet, dass wir bessere Kompromisse schließen können. Ohne Verzerrungen durch überproportional mächtige Interessenvertreter. Es bedeutet schließlich, dass wir alle im Schnitt ein bisschen glücklicher werden. Und das ist die Aufgabe, richtig?
    Ich will kurz umreißen, was ich in diesem Buch vorhabe. Zunächst muss ich tatsächlich darauf eingehen, was eigentlich gerade mich dazu legitimiert, einen Vorstoß zu wagen und Dinge verändern zu wollen. Ich kann ein wenig von meinen Erfahrungen in einer Partei, in der Politik und in der Öffentlichkeit berichten. Ich habe Menschen getroffen und Thesen gehört, ich habe mich selbst argumentativ besiegt und beharre bis heute auf einigen notwendigen Veränderungen. Ich werde Abläufe der Politik aufzeigen,die modernisiert werden können. Wie Prozesse,
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