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Elfenherz

Titel: Elfenherz
Autoren: Holly Black
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1
    Hier dagegen musst du aus Leibeskräften
rennen, wenn du am selben Ort bleiben
willst. Und wenn du woandershin willst,
musst du doppelt so schnell rennen.
    LEWIS CARROLL,
»ALICE HINTER DEN SPIEGELN«

    A ls Valerie Russell etwas Kaltes am Rücken spürte, drehte sie sich blitzschnell um und schlug ohne nachzudenken zu. Ihre Hand traf nackte Haut. Eine Limodose fiel scheppernd auf den Betonboden der Umkleide und hinterließ beim Rollen eine klebrige braune Flüssigkeit, die sich in einer schäumenden Pfütze sammelte. Mehrere Mädchen hielten mit dem Umziehen inne und kicherten.
    Ruth hob beschwichtigend die Hände, als wollte sie sich ergeben, und lachte.
    »Kleiner Scherz, Prinzessin Supercool.«
    »Sorry«, rang Val sich ab, aber die plötzlich aufflackernde Wut war noch nicht erloschen, und sie kam sich blöd vor. »Was willst du denn hier? Ich dachte, von Schweiß bekommst du nervöse Zuckungen.«
    Ruth setzte sich auf eine grüne Bank. In der alten Smokingjacke
mit dem langen Samtrock sah sie exotisch aus. Ihre Brauen waren dünn nachgezeichnet, ihre Augen mit schwarzem Kajal ummalt, und der rote Lidschatten ließ sie wie eine Kabuki-Tänzerin aussehen. Ihr schwarz glänzendes Haar war an den Wurzeln heller und mit lila Zöpfchen durchflochten. Sie inhalierte einen tiefen Zug ihrer Nelkenzigarette und blies den Rauch in die Richtung einer Mannschaftskameradin von Val. »Nur von meinem eigenen Schweiß.«
    Val verdrehte die Augen, musste aber lächeln. Eine Klasseantwort, das musste sie zugeben. Val und Ruth waren schon ewig befreundet, so lange, dass Val sich daran gewöhnt hatte, von Ruth in den Schatten gestellt zu werden. Sie war die »Normale«, diejenige, die die Vorlagen für witzige Kommentare gab, nicht die, die sie lieferte. In dieser Rolle fühlte sie sich ganz wohl. Wenn Ruth Batman war, machte sie den Robin, war Chewbacca für ihren Han Solo.
    Als Val sich bückte, um ihre Turnschuhe wegzukicken, entdeckte sie sich plötzlich in einem kleinen Spiegel auf der Tür der Umkleide. Unter ihrem grünen Bandana lugten orangefarbene Strähnen hervor.
    Ruth färbte sich schon seit der Fünften die Haare - erst in Farben, die im Supermarkt erhältlich waren, bald aber in verrückt-schönen Schattierungen wie Meerjungfrauengrün oder Pudelpink. Val dagegen hatte sich die Haare erst einmal gefärbt. Sie hatte ein handelsübliches Kastanienbraun gewählt, das nur ein bisschen dunkler und facettenreicher war als ihr eigenes langweiliges Braun; trotzdem
hatte es Hausarrest gesetzt. Damals hatte ihre Mutter sie für alles bestraft, was nach einer Demonstration ihres Erwachsenwerdens roch. Mom hatte was dagegen, als sie sich einen BH kaufte, hatte was gegen kurze Röcke und gegen Dates, solange sie noch nicht zur Highschool ging. Jetzt war Val auf der Highschool und plötzlich überschüttete ihre Mutter sie mit Tipps für ihr Make-up und für allgemeines Verhalten bei Verabredungen. Doch Val hatte sich daran gewöhnt, ihre Mähne mit einem Bandana in Schach zu halten und in Jeans und T-Shirt herumzulaufen. Sie war nicht gewillt, das zu ändern.
    »Ich habe ein paar Statistiken für das Mehl-Baby-Projekt zusammengesucht und einige potenzielle Namen für ihn gefunden.« Ruth legte ihre riesige Kuriertasche ab, deren vordere Klappe mit Farbe beschmiert und mit Buttons und Stickern überfrachtet war. An den Ecken schälte sich ein pinkes Dreieck ab, auf einem selbst geschriebenen Button stand »Immer noch nicht König« und auf einem kleineren hieß es »Es gibt so einiges, ob man dran glaubt oder nicht«.
    »Ich dachte, du hättest vielleicht Lust, heute Abend rüberzukommen und weiter daran zu arbeiten.«
    »Ich kann nicht«, erwiderte Val. »Nach dem Training fahren Tom und ich in die Stadt zu einem Hockeyspiel.«
    »Du machst so langsam einen Jungen aus ihm«, sagte Ruth und wickelte sich eins ihrer lila Zöpfchen um den Finger.
    Val runzelte die Stirn. Sie hatte gemerkt, wie kühl Ruth klang, wenn sie über Tom sprach.

    »Meinst du, dass er da eigentlich gar nicht hinwill?«, fragte sie. »Hat er was dazu gesagt?«
    Mit einem Kopfschütteln zog Ruth rasch noch einmal an ihrer Zigarette. »Nein, nein. Das meine ich überhaupt nicht.«
    »Ich würde nach dem Spiel gerne mit ihm ins Village gehen, wenn dafür noch Zeit ist. In St. Mark’s rumlaufen.« Es war erst ein paar Monate her, seit Tom ihr auf der Kirmes ein Klebetattoo angebracht hatte. Er war auf die Knie gegangen, hatte sie unten am Rücken geleckt und
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