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Millionenkochen: Ein Mira-Valensky-Krimi

Millionenkochen: Ein Mira-Valensky-Krimi

Titel: Millionenkochen: Ein Mira-Valensky-Krimi
Autoren: Eva Rossmann
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    Es gibt Tage, an denen die Sonne auch die dichtesten Wolken schluckt, und solche, an denen eine einzige Wolke die Sonne zu fressen scheint. Heute ist einer der zweiten Art. Ich spähe durch die Windschutzscheibe nach oben und wünsche mir endlich wieder Wärme. Und Licht. Und eben Sonne.
    Ich bin unterwegs zum Sommerfest der Win-Sat-Studios, eine Fête Blanche, alle in Weiß, vielleicht stimmt mich auch das so missmutig. Weiß steht mir nicht. Außerdem trägt es auf. Oskar hat sich geweigert, mich in Weiß zu begleiten, er wolle nicht aussehen wie der Weiße Riese aus der Waschmittelwerbung, hat er gemeint. Er muss ja auch nicht. Ich hingegen habe zu berichten. Das „Magazin“ wünscht eine Reportage über Win-Sat, den internationalen Privatsender, der sich vor einigen Monaten 25 Kilometer außerhalb von Wien niedergelassen hat. Ein ehemaliges Industriegelände im Weinviertel, ein umtriebiger Bürgermeister, jede Menge Förderungen und eine Freundschaft zwischen dem Mehrheitseigentümer und Medienzaren Hans Biermayer und unserem Finanzminister. Aber das soll nicht im Mittelpunkt stehen, hat mich unser Chefredakteur beschworen. Er will eine „positive Story“ über die Ansiedlung eines höchst erfolgreichen Senders im Weinviertel, und er will so viele Hintergründe wie möglich über dessen Straßenfeger „MillionenKochen“. Wer kochen kann, gute Nerven hat, Antworten auf knifflige Fragen weiß und dazu beim Publikum ankommt, der kann über drei Millionen Euro gewinnen. Geschafft hat das allerdings noch niemand.
    Irgendetwas bewegt sich einige Meter vom Straßenrand entfernt. Ich kneife die Augen zusammen. Hohes Gras. Ich will keinen Hasen niederfahren. Ein eingleisiger Bahnübergang. Der Himmel im Osten ist blau und dennoch hängt diese verdammte Wolke seit Wien vor der Sonne. Da liegt etwas neben dem Bahngleis. Fetzen, die der Wind aufbläst? Es ist windstill. Ich will schon weiterfahren, was geht mich das an, was sich da bewegt. Dann lenke ich meinen kleinen Fiat trotzdem ins Gras und steige aus. Ein Mensch liegt neben dem Gleis. Die Kleidung voller Schmutz, das Gesicht wie im Boden vergraben, ich kann nicht ausnehmen, ob es eine Frau oder ein Mann ist. Selbstmörder, denke ich mir, und mein Herz rast. Oder einer, den der Zug angefahren hat, der liegen geblieben ist. Wie ist die Nummer der Rettung? Noch bevor ich klar denken kann, bewegt sich der Mensch, stöhnt laut auf. Jetzt renne ich hin. Man darf einen Verletzten nicht bewegen, ein Wirbel könnte gebrochen sein. Hat der Lokführer nichts bemerkt? Hat keiner der Vorbeifahrenden etwas wahrgenommen? Die Straße ist nicht eben stark befahren. Ich wünschte, da käme noch jemand daher. Dann gebe ich mir einen Ruck, gehe die letzten paar Schritte und knie mich neben dem Haufen von Mensch nieder. Jeans, erdverklebt. Ein rotes T-Shirt voller Grasflecken.
    „Sind Sie in Ordnung?“, sage ich dumpf und denke gleichzeitig, viel blöder kann ich nicht fragen. Aber erstaunlicherweise kommt eine Antwort.
    „Nein!“, schreit der Mensch noch immer in den Boden und ich bin jetzt sicher, dass es ein Mann ist. Schlank und feingliedrig, sicher noch nicht alt.
    „Hat Sie der Zug …?“
    „Nein!“, schreit er wieder, jetzt wütend, „nicht einmal das bringe ich fertig!“
    „Sie sind … nicht verletzt?“
    „Ich wollte sterben“, heult er auf.
    Ich räuspere mich. „Aber Sie haben sich nicht vor den Zug geworfen.“
    „Ich warte auf den nächsten.“
    Unwillkürlich blicke ich auf, das Bahngleis entlang. Kein Zug. Nur diese verdammte Wolke vor der Sonne. Die Schnellbahn fährt wohl nicht so häufig. Hoffentlich. Ich muss den Mann aus der Gefahrenzone bringen. Warum eigentlich? Er ist nicht verletzt. Es ist sein Leben.
    „Stehen Sie auf!“, sage ich.
    Wildes Kopfschütteln.
    Schön langsam packt mich die Wut. Ich nehme ihn am Arm und versuche ihn hochzuziehen. Erstaunlicherweise zuckt er nicht zurück, schüttelt meine Hand nicht ab, er rappelt sich auf, kniet in der Wiese, den Blick gesenkt, ich ziehe noch einmal und er steht neben mir. Knapp eins achtzig, kaum größer als ich, Erde im Gesicht, als hätte er sich eingraben wollen, er fährt sich mit der rechten Hand über die Lippen, wischt eine braune Spur ab, sieht mich dann an.
    „Wie heißen Sie?“, frage ich, „wie sind Sie hergekommen?“
    „Mit der Schnellbahn. Und dann das Gleis entlang. Und dann …“ Er schüttelt den Kopf. „Nicht einmal das bringe ich fertig“,
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