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Wir nennen es Politik

Wir nennen es Politik

Titel: Wir nennen es Politik
Autoren: Marina Weisband
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nach eher klassischen Kennzahlen verteilt, wie beispielsweise der Anzahl der Teilnehmer (was online natürlich schwieriger zu bestimmen ist).
    Das Netz als Gesellschaftsstruktur wird uns in Zukunft erlauben, politische Bildung nicht nur unidirektional zugestalten, sondern den Konsumenten gleichzeitig als Produzenten zu begreifen. Jeder kann eine Fragestellung beitragen. Jeder, der eine Antwort erarbeitet hat, liefert gleichzeitig Material für andere. In Zukunft wird es eine der Hauptaufgaben von Bildungsträgern sein, diesen Prozess anzuregen, zu moderieren und die Infrastruktur dafür zur Verfügung zu stellen. Aber wie kann die Vernetzung von Wissen funktionieren?
    In Hamburg scheint es immer zu regnen. Zumindest, wenn ich da bin. Allerdings war ich noch nie länger als einige Stunden in der Stadt. Ich bin in einem Hotel untergebracht, das der Veranstalter bezahlt, bei dem ich morgen einen Auftritt habe. Ich schleppe meinen Koffer und meine Plastiktüte ( Inhalt: ein Mantel und Ersatzschuhe) auf das Zimmer. Ich bin nervös. Was war morgen noch mal das Thema? Ach ja.
    Ich rufe Rebekka an: »Hilf mir! Ich habe gerade keine Ahnung, wo ich Informationen zu Befugnissen und zum aktuellen Vorgehen der Polizei bei Online-Straftaten finde.«
    »Okay, ganz ruhig. Weißt du was? Ich rufe mal die Servicegruppe Recherche an. Die hat sich neulich gegründet und die wollen in der Partei für genau solche Fälle zur Verfügung stehen.«
    Ich warte also. Ich hasse diesen Moment der absoluten Ahnungslosigkeit. Über Demokratie kann man mich immer diskutieren lassen. Über Bildungspolitik auch. Risiken und Chancen des Internets. Kein Problem. Aber morgen könnte das Thema Richtung Datenschutz und Sicherheiteinschlagen. Und da bin ich einfach nicht fit. Ich brauche jemanden, der mich mit Informationen versorgt – mit reinen Informationen. Was ich daraus mache, wie ich sie verarbeite, das liegt bei mir.
    Nur wenige Minuten später klingelt mein Handy. Ich kenne die Frau am anderen Ende nicht, aber sie ist Piratin und ich bin ihr so dankbar, dass wir gleich ganz vertraulich sind.
    »Hi, Marina, ich hoffe, es geht dir gut? Ich bin von der SG Recherche. Kannst du mir noch mal sagen, was genau du brauchst und bis wann?«
    »Es ist für einen Auftritt morgen. Ich möchte wissen, was die Polizei zurzeit normalerweise tut, wenn zum Beispiel jemand wegen Beleidigung in einem Chat Anzeige erstattet. Und was sie tun darf. Ach ja, und was unsere Forderungen dahingehend sind. War das Quick Freeze, oder wollten wir was anderes?«
    »Okay, kein Problem. Ich schicke dir in zwei Stunden ne Übersicht über alles, was wir gefunden haben, okay?«
    »Vielen, vielen Dank, das wäre super. Ich hoffe, das macht euch keine Umstände. Ich fühle mich total doof dabei, die Forderungen meiner eigenen Partei recherchieren zu müssen.«
    »Nö, wieso, ist eben so«, erwidert sie trocken. »Die Partei bekommt es ja auch nicht hin, so was mal irgendwo übersichtlich zu sammeln. Bei uns findet man zwar alles, aber nur wenn man weiß, wo man suchen muss. Wir müssten das mal besser vernetzen.«
    »Ja, das müssten wir mal«, sage ich müde. »Vielen Dank dir.«
    »Wir hören uns später.«
    Zwei Stunden später habe ich drei Seiten ausführliche Aufstellung über Befugnisse und Grenzen der Polizei, verschiedene Forderungen verschiedener Parteien und Links zu Bewertungen von Datenschützern auf meinem Laptop. Ich betrachte das Dokument nachdenklich und frage mich, was weiter damit passieren wird. Ich werde es heute Nacht auswendig lernen und danach wird es auf ewig auf meiner Festplatte verrotten. Wir nutzen noch nicht annähernd die Möglichkeiten, die wir haben.
    Zeit für hochtrabende Zitate. Heute bemühe ich Goethe. Der schrieb im Werther: »Missverständnisse und Trägheit machen vielleicht mehr Irrungen in der Welt als List und Bosheit«. Ich habe nun einige Zeit im politischen Betrieb verbracht, wo es sehr viele Dinge gibt, die wie List und Bosheit aussehen. Manche davon mögen es sogar tatsächlich sein. Doch letztlich hat Goethe recht, auch heute noch. Der erdrückende Großteil aller Fehlentscheidungen, aller Kleinkriege, aller großen und kleinen Katastrophen, ist auf unzureichende Kommunikation oder unzureichendes Wissen zurückzuführen. Vermutlich war das schon immer so. Und auch mit dem flächendeckendsten Internet und bei der größten Durchsuchbarkeit werden wir niemals perfekte Kommunikation ermöglichen. Sei es drum. Wir können aber alle Mittel
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