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Todesschlaf - Thriller

Titel: Todesschlaf - Thriller
Autoren: Eileen Dreyer Leo Strohm
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Prolog
    Der Todesengel kam im Morgengrauen. Das war ein ungewöhnlicher Zeitpunkt, so viel war dem alten Mann klar. Mit diesenWesen kannte er sich aus. Er hatte sie schon im mitternächtlichen Gestank des Dschungels kauern sehen, hatte um drei Uhr morgens in den Gassen, die sich in der kalten Nachtluft wie Spinnenbeine von einem Taxistand wegschlängelten, ihr verstohlenes Rascheln gehört. Ein paar hatte er verscheucht und den einen oder anderen mit einem wissenden Kopfnicken gegrüßt. Er war jetzt siebenundachtzig Jahre lang immer einen Schritt schneller gewesen als sie und auch dieses Mal nicht gewillt, sich kampflos zu ergeben.
    Schon gar nicht hier.
    Hier war es zu sauber, zu unpersönlich. Der alte Mann wollte seinem Engel aufrecht stehend gegenübertreten, sehenden Blicks, an einem Ort wie denen, an denen er seine Kämpfe sonst immer geführt hatte. Er wollte die Chance bekommen, den Engel noch ein einziges Mal zurückzuschlagen, bevor er sich dann in das Unvermeidliche fügen würde.
    Von wegen Schonen Sie sich , dachte er und krampfte seine gichtbrüchigen Finger zu Fäusten, doch die Fesseln, die um seine Handgelenke lagen, machten ihn wehrlos und alt.
    »Ich heiße Butch Cleveland«, krächzte er mit einer durch Bier, Zigaretten und Kasernenhöfe ruinierten Stimme. »Marine-Corps der Vereinigten Staaten von Amerika. Nummer 3124456. Mehr kriegst du aus mir nicht raus, du verdammter Hurensohn.«
    »Es tut mir leid«, sagte der Engel und beugte sich über
ihn. Ausgerechnet im Morgengrauen, das ist doch nicht richtig, dachte Butch und wand und drehte sich, wollte entkommen, aber jetzt gab es keinen Ort mehr, wohin er sich hätte flüchten können. Nicht, als die Sonne endlich aufging. Der Tod gehört in die Nacht, gehört in die dunklen Stunden der Träume und der Schrecken, wenn Soldaten Zäune durchbrechen und U-Bahn-Fahrgäste Maschinenpistolen mit sich führen. Das Morgengrauen bringt die Erlösung. Die Sonne ist ein Versprechen. Hoffnung. Schon wieder eine Nacht überstanden.
    »Noch nicht«, war alles, was er zitternd hervorbrachte.
    »Die Schicht ist zu Ende«, sagte der Engel.
    Jetzt weinte er und schämte sich seiner Tränen und seines Zitterns und seines Schreckens. »Ich gehe nicht.«
    »Du kannst nichts dagegen machen.«
    Konnte er doch. Er kämpfte gegen den Engel. Er kämpfte gegen den Schmerz. Und, als es schließlich so weit war, kämpfte er gegen das Mittel, das zehn Stunden lang durch den Infusionsschlauch in seinen Körper gelangt war - mehr als ein Mensch verkraften konnte, mit Ausnahme eines Sergeants mit der Konstitution eines Stiers, der die Schlacht von Tarawa und Pearl Harbor überlebt hatte.
     
    Als die Sonne sich über die Kegel der sanften Hügel drau ßen vor dem Fenster schob, verließ der Todesengel Butch Clevelands Zimmer. Er wusste jetzt, dass Butch Cleveland nachgeben und sterben würde. Niemand konnte einer solchen Menge Digoxin widerstehen. Nicht einmal Butch. Und wenn Butch gestorben war, würde niemand erfahren, wieso, weil Butch alt und senil und gebrechlich war.
    Der Engel stülpte sorgfältig die Schutzkappe über die Nadel und ließ das Beweismittel in den leuchtend roten Eimer für gebrauchte Spritzen fallen. Dann - immer darauf achtend, ob das fast lautlose Flüstern von Krankenschwesternschuhsohlen
auf dem stillen Flur zu hören war - huschte der Engel noch einmal zurück in Butchs Zimmer, um sich vom Erfolg seiner Bemühungen zu überzeugen.
    Der Engel war der Überzeugung, dass man das, was man machte, auch richtig machen musste. Butchs Tod würde ein weiterer Beweis dafür sein. Genau wie bei den anderen. Ge nau wie bei denen, die folgen würden. Nach so langer Zeit wusste der Engel sehr genau, was zu tun war.
    Ah, jetzt war es so weit. Ein Gurgeln. Ein Keuchen. Ein kurzer Augenblick vollkommener Stille in einem sterilen, weiß gestrichenen Zimmer. Mit einem Lächeln stiller Erwartung auf den Lippen trat der Engel aus dem Schatten an Butch Clevelands Bett, um zu sehen, wie sein Blick ein letztes Mal aufflackerte um anschließend endgültig zu verlöschen.
    Butch Cleveland hatte die Augen weit aufgerissen. Sein Gesicht war puterrot und die Arme zerrten an den Handfesseln. Der beißende Gestank einer spontanen Darmentleerung hing bereits in der Luft. Butch erblickte den Engel, umgeben von den Strahlen der aufgehenden Sonne, und blaffte in einem letzten Akt der Auflehnung den Wahlspruch des United States Marine Corps quer durch das Zimmer:
    » Semper fi !«, um
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