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Winter in Maine

Winter in Maine

Titel: Winter in Maine
Autoren: Gerard Donovan
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musste ich mir selbst ein Bild machen, um zu wissen, mit was für einem Rivalen ich es zu tun hatte. Ich streifte durch den Wald, um mir deine Hütte anzusehen, aber dein Hund hörte mich und kam auf mich zugelaufen. Also stieg ich wieder in meinen Pick-up und fuhr weg.
    Du hast gesagt, er hätte gebellt.
    Ja, er hat bloß gebellt. Warum sollte jemand einen bellenden Hund erschießen?
    Ich senkte das Gewehr. Hobbes hatte also sein Revier vertei digt. Oder dieser Mann hatte im Schweigen des langen Rückwegs genug Zeit gehabt, sich das Ganze auszudenken. Nein, vielleicht war der arme Hobbes für Troy auch ein Rivale gewesen, aber hatte sie ihm wirklich von Hobbes erzählt? Ich dachte, ich hätte die Frage laut ausgesprochen, aber Troy reagierte nicht.
    Plötzlich wirbelte ein Windstoß Schnee zwischen den Bäu men hervor und riss die letzten Blätter von den Zweigen, und ich erinnerte mich, wie Claire ein paar Wochen nach ihrem ersten Besuch nackt in der warmen Küche gestanden und ein Exemplar des Winter ärchens vor der Brust gehalten hatte.
    Hier habt ihr Blumen!
    Lavendel, Münze, Salbei, Majoran;
    Die Ringelblum', die mit der Sonn' entschläft
    Und weinend mit ihr aufsteht: das sind Blumen
    Aus Sommersmitt', und die man geben muß
    Den Männern mittlern Alters ...
    Du bist jetzt mein eigener William, hatte sie zu mir gesagt.
    Ich merkte, dass ich die Stelle anstarrte, an der immer die Blumen sprossen, die von mir gepflanzt worden waren oder von selbst wuchsen und sich durch den harten Boden ans Licht kämpften.
    So zarte Haut, so eine dornenvolle Erinnerung.
    Troy stand missmutig am Blumenbeet. Plötzlich flog ein Schwarm Krähen, Tausende von Vögeln, ein einziges schwar zes Flattern, aus den Bäumen hervor, eine schrill schreiende Schar. Es dauerte fünf Minuten, bis sie vorbeigeflogen waren, und in der Zwischenzeit machte der Lärm jedes Wort zwischen uns unmöglich. Troy betrachtete das Gewehr, und ich betrachtete die hinter ihm vorbeifliegenden Vögel.
    Die Bäume sind krähig, sagte ich.
    Er zuckte zusammen. Sie sind was? Was redest du da?
    Dieses Wort hab ich mir selbst ausgedacht, sagte ich. Mir ist mein Shakespeare ausgegangen.
    Ein mürrisches Schulterzucken, als hätten sich unsere Spra chen voneinander getrennt, und er bliebe zurück. Trotztum, ein weiteres neues Wort, nur für ihn. Doch ich bewunderte seine Konzentration, die Stärke und Entschlossenheit seines W illens: Er ließ nichts an sich heran, was nicht in sein Denken passte, wie die Nachtfalter, die sich im Licht der Glühbirne auf der Veranda verfingen wie in einem Spinnennetz und deren Schatten mich manchmal so störten, dass ich das Licht ausschaltete, um sie in die Nacht entkommen zu lassen, denn jemand wie Troy muss auf jede Bemerkung sofort eine Erwi derung geben und kann nur durch Schweigen verscheucht werden.
    Willst du reinkommen ?, fragte ich. Der Abend war ange brochen.
    Kopfschüttelnd ließ er den Blick zur Hütte wandern. Ich geh da nicht rein.
    Wie du willst, sagte ich. Aber sie gehen bald kräftig runter, die Zahlen.
    Anscheinend hatte er mich falsch verstanden, denn er erwi derte: Du hast schon eine hübsche Anzahl Leute erschossen, stimmt's?
    Ich trank einen Schluck, doch bei dieser Temperatur schmeckte der Sherry auf der Zunge ganz anders. Mit einem Nicken überließ ich ihm diesen Sieg, denn er hatte ihn sich verdient.
    Es heißt, Männer mit Waffen können tun, was sie wollen, sagte ich, das liegt in der Natur der Dinge. Daran habe ich mich gehalten.
    Dann gibst du es also zu, sagte er, hier und jetzt.
    Sein Plan zu überleben, wie auch immer er aussehen moch te, kam allmählich in Schwung. Für mich spielte all das keine Rolle mehr. Ich verspürte nur eine große Abwesenheit, eine nie da gewesene Leere, die alles in mir erstickte. Davor hatte ich erlebt, wie das ganz normale Glück des Alleinseins plötzlich zerstört wurde, und zwar durch eine bestimmte Abwesenheit: die bloße Härte des Ganzen, man verwandelt sich in einen Stein, in ein Stück Holz, einen Splitter in der Erde, in splitterigen Wind. Und als giftiges Heilmittel die Blumen in all dem Grau, jemand, der einen am Arm berührt, die süßen Worte eines Lächelns, was zunächst hilft, aber dann alles noch schlimmer macht. Manche Leute meinen, all das spielt sich nur im Kopf ab. Wenn das stimmt, dann wäre es auf der ganzen Welt nur für mich von Bedeutung, ob Hobbes je zu meinem Leben oder ich zu seinem gehörte. Man schließt sich jemandem an und leidet, wenn
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