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Winter in Maine

Winter in Maine

Titel: Winter in Maine
Autoren: Gerard Donovan
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erschießen, weil er sich nicht traute, mich mit vorgehaltener Waffe den ganzen Weg durch den Wald bis zum Polizeirevier zu bringen. Damit hätte er recht.
    Ich forderte ihn auf, das Buch mit dem Zettel zu nehmen, den ich vor kurzem hineingesteckt hatte, und sich wieder ans Blumenbeet zu stellen. Er schnappte sich das Buch und ging mit langsamen Schritten los, ließ den Blick vom Boden zum Gewehr wandern, um den richtigen Augenblick für einen letz ten verzweifelten Fluchtversuch abzupassen, der nicht gelingen würde. Aber das hat noch niemanden abgehalten.
    Inzwischen war der Abend angebrochen, mit seinem selt samen Licht, dem Licht der anderen Seite, schwächer und zerrissener, aber bezaubernd und ein Balsam für diejenigen, deren Leben darin erblüht. In diesem Licht sind auch Stimmen besser zu hören. Troys Stimme war dünner geworden, unsicherer, aber vielleicht kam mir das auch nur so vor.
    Er fragte: Was hat sie überhaupt in dir gesehen?
    In seiner Stimme schwang etwas mit, das nichts von den harten Sätzen der Leute hatte, die alles, was sie glauben, für die einzige Wahrheit halten. Aber vielleicht war ich genauso, viel leicht wurde alles, was ich dachte und sagte, erfüllt von meinem Glauben, angetrieben durch meine eigenen Zahnräder. Ich war jedenfalls ein Teil davon, das war sicher.
    Das müsstest du Claire fragen. Sie hat sich dich ausgesucht. Er betrachtete das Buch, das er in Händen hielt: Was ist das?
    Lies, was auf dem Blatt Papier steht, sagte ich.
    Er schlug das Buch an der Stelle auf, wo das Blatt steckte, nahm es heraus und überflog das Geschriebene kurz, verwirrt und voll panischer Angst, sein Testament zu sehen, und das nicht mal in seinen eigenen Worten.
    Ich sagte: Lies vor.
    Okay, okay. Er folgte den Wörtern mit dem Finger, wobei sein Blick dem Finger vorauseilte und seine Stimme ihm hin terherhinkte:
    Laßt uns Arznei aus mächtger Rache mischen,
    Um dieses Todesweh zu heilen!
    Was meinst du dazu?, fragte ich.
    Das klingt wie eine Fremdsprache, ich verstehe dieses stän dige Geschwätz nicht.
    Es ist Englisch, entgegnete ich.
    Was denn - du meinst wie Spürer und das andere Wort, das du benutzt hast? Das ist kein Englisch.
    Ich wusste, was er sagen wollte, und er tat mir leid.
    Du meinst, es klingt so engli sch wie Hundegebell, sagte ich.
    Ja, genau das meine ich.
    Vielleicht ist jetzt beides dasselbe, sagte ich. Was ist dasselbe?
    Das, was die Hunde und Shakespeare zu sagen haben.
    Wer sagt das? Er klappte das Buch zu und deutete auf seine Brust: Wozu hältst du mir diese Vorträge? Was willst du tun? Ich bin Polizeibeamter.
    Er brüllte, um seinen Worten Kraft zu verleihen, aber es waren die richtigen Worte, sie brauchten nicht gebrüllt zu werden. Für ihn stimmte das, ich hatte plötzlich viel zu viel zu sagen, das war eine Unverschämtheit.
    Ich ließ das Gewehr oben. Meine Absicht? Ich weiß nicht, sagte ich und trat rasch den Rückzug an. Ein bisschen lesen, Tee machen, gegen die aufziehende Kälte ein Feuer anzünden, irgendwas in der Art werde ich tun.
    Seine Stimme wurde wieder leiser: Ich hab gemeint, was du mit mir tun willst.
    Ich schüttelte den Kopf, damit er Bescheid wusste, und da wurde er weicher und redseliger, beklagte sich über sein Le ben und seine Firma, wies daraufhin, wie schwer er gearbeitet habe, dass alle ihn achteten, und zählte dann seine Pflichten auf, und ich wartete, bis die Klagen in der Stille des Waldes verhallten, die alles verschluckt, was ein Mensch sagen kann, bis er nichts mehr zu sagen weiß und das Echo verklingt, weil keine Worte mehr folgen.
    Ich kniete nieder und streifte den Schnee von Hobbes, von der Erde, die auf ihm lag. Er befand sich ungefähr einen halben Meter von meiner Hand entfernt, und ich hatte beinahe das Gefühl, ihm über den Rücken streichen, seinen Kopf tätscheln zu können.
    Hatte Troy Hobbes erschossen? Ich neigte zu dieser Ansicht.
    Wegen seines Verhaltens, als er es leugnete, und weil er es so eilig gehabt hatte zu sagen, was er wusste. Er hatte zugegeben, dass er bei der Hütte gewesen war, und verfügte über die nöti ge Aggressivität, um etwas zum Schweigen zu bringen, das bereits stumm war.
    Ich stand mit der Enfield da und zielte auf seinen Bauch. Sag mir, dass sie glücklich ist, forderte ich ihn auf.
    Er wirkte überrascht und schwieg zur Abwechslung, vielleicht weil im Himmel das Licht aus war und in der klaren Nacht vor dem bevorstehenden Sturm nur die Sterne zu sehen waren. Er überlegte kurz oder
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