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Winter in Maine

Winter in Maine

Titel: Winter in Maine
Autoren: Gerard Donovan
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verstreute auf dem Boden und im Garten alle Samen, den ge schroteten Mais und die Körner für die Vögel und klemmte die Tür fest, damit sie rein- und rauskonnten. Wieder hörte ich ein Kratzen aus der Hütte und fragte mich, wie der Klang der Schallplatte so weit herüberdringen konnte, sah aber plötzlich, wie sich im Mondschein zwei Flügel entfalteten, Krallen an der Scheibe kratzten und ein Vögelchen sich vergeblich wieder in den Himmel zu schwingen versuchte. Du hältst den Mond bestimmt für die Sonne und solltest eigentlich schlafen, murmelte ich lächelnd und ging mit weit ausgebreitetem Mantel zu dem Kleinen hinein. Er flatterte darunter und war gefangen, als ich den Mantel schloss. Weiß der Himmel, wie lange du dich schon abgemüht hast. Ich brachte das zarte Federknäuel in den Garten, schlug den Mantel weit auseinander, und das Vögelchen flog in die Luft und verschwand.
    Nicht mehr lange.
    Ich war unruhig, wie jemand, der auf seinen Auftritt wartet, eine leere Hand, zu weit ausgestreckt für eine andere Hand, ein Ohr, das sich zwischen Tönen verliert. Da gab es nur ei nen Ausweg: Die Pfeife und ein weiterer Sherry würden mich beruhigen. Zuerst schürte ich das Feuer, dann goss ich mir ein Glas ein, zündete die Pfeife an und kehrte paffend auf die Lichtung zurück.
    Der Wind schlitzte mir die Haut auf. Diesmal wusste ich, dass er Schnee bringen würde, ich merkte es, weil die Bäume wie feines Silber klirrten, das Geräusch des zitternden arktischen Meeres in den Baumwipfeln. Derselbe Wind musste gegen die Bäume geprallt sein und auch den Mond gestreift haben, denn als ich aufblickte, sah ich, dass er sich auf der linken Seite leicht eindellte, wie das Wasser auf dem Kamm einer Welle, die am Strand ausläuft, dann versickert und nur einen hellen Salzfleck auf dem Sand zurücklässt.
    Das Astronomiebuch meines Vaters hatte das bevorstehende Ereignis auf die Stunde genau vorhergesagt, vor über dreißig Jahren hatte er mich darauf hingewiesen und mir gesagt, ich solle danach Ausschau halten. Ich hatte es ihm versprochen. Und hier war sie, die Mondfinsternis, Mond, Sonne und Erde zu einem Lied arrangiert, nichts von dem Zauber wissend, den sie in der Nacht bewirkten. Ich ließ das Buch auf den Schoß sinken und lehnte mich zurück, den Blick fest auf den Schatten gerichtet, während sich der Boden, an den ich mit meinem Stuhl geheftet war und in dem der zusammengerollte Hobbes lag, unter mir in Stoff verwandelte und einen riesigen Schleier über die Leere breitete. Der Wind strich wieder mit langem, trägem Geklirr über Maine, und wenn ich mich auf Flügeln über den Wald erhöbe, nach Quebec im Norden und Neufundland im Osten, würde ich die glitzernden Bänder der Flüsse sehen, von eisigen Bächen erzitternde Wälder, eine Wildnis voller Adler, Habichte, Eulen, Bären, Karibus, hung rige Herden, die über das Gestein glitten, ein Gebiet voller Berge und Eis, würde von der Nacht in den Tag und wieder in die Nacht streifen, vorbei an feuchten, in Täler geschmiegten Städten, wü rde den Lachs des breiten St.- Lawrence-Stroms sehen, der mit einem auf den schmalen Teich seiner Geburt ausgerichteten Kompass riesige Entfernungen und starke Flussströmungen überwunden hatte.
    Eine Stunde lang ging ich immer wieder zwischen Lichtung und Küche hin und her, holte Sherry und legte Musik auf oder Holz nach. Und die ganze Zeit glitt der Schatten über den Mond, bis das Licht nur noch papierfarben, dann steingrau und schließlich aschfahl war. Aber dann kam ich zur Ruhe und saß auf dem großen Stuhl im Garten, ein Kissen im Nacken, um zwischen den Bäumen hindurchschauen zu können, die Pfeife in der einen, den Kaffee in der anderen Hand, das Buch auf dem Schoß. Sieh dir das Loch im Himmel an, dachte ich, das ist kein riesiger funkelnder Stern, der irgendwelc he Män ner nachts zu ihrem König führt. Ich wartete und beobachtete, wie die schwach leuchtenden Sterne ihre Plätze suchten, während die Sonne mit all ihrem Licht hinter der Erde entlangzog und den Mond ausknipste.
    Als ich das Brausen auf den Pfaden hinter mir im Wald hör te, hatte ich das Gefühl, als würde sich die ganze Welt in dem Vakuum sauberfegen, als stürzte ein luftleerer, lichtloser Raum durch die Atmosphäre auf mich zu. Aber es war bloß wieder der Schneewind, der diesmal bis zum Garten gelangte, und die ersten Tropfen fielen vom Himmel, keine Ahnung, woher, denn ich sah keine Wolke. Mit der Decke, dem Mantel und den
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