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Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)

Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Gerit Bertram
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PROLOG
    Nürnberg, im Jahr des Herrn 1522
    B äuchlings und nur mit seiner Bruche bekleidet lag der hochgewachsene Mann regungslos auf dem Boden der Kammer, die er vor drei Tagen gemietet hatte. Die dralle Wirtin hätte ihn wohl für tot gehalten, hätte sie in diesem Augenblick den Raum betreten. Doch damit war nicht zu rechnen, denn der Mann hatte sich schon am vergangenen Abend, als er von einem seiner Streifzüge durch die Gassen zurückgekehrt war, ausgebeten, nicht gestört zu werden.
    Er öffnete die Augen, stützte sich mit den Ellenbogen ab und legte den Kopf in den Nacken. Sein Blick suchte das Kruzifix über der abgenutzten Eichenholzkommode. Das winzige Zimmer des Gasthauses war spartanisch eingerichtet, außer dem Bett gab es nur noch einen Schemel, über dem seine abgetragenen Kleider hingen. Das Essen nahm man unten in der Gaststube ein. Der Mann hatte allem entsagt, seit er in Nürnberg angekommen war. Nun suchte ihn Schwäche heim, und er vernahm das Knurren seines Magens.
    Es musste ihm gelingen, die fleischlichen Begierden im Zaum zu halten, so gebot es die Heilige Schrift in Jakobi 1, Vers 15. Dazu gehörte auch das Essen. Mit Weibern hatte er sich schon lange nicht mehr eingelassen, sein letzter Besuch bei einer Hübschlerin in Augsburg war länger als ein Jahr her. Der Anblick der Metze und die Art, wie sie ihre ausladenden Hüften schwang, hatten ihm das Blut in die Lenden schießen lassen. Willenlos war er ihr gefolgt, um sie in ihrer Kammer wie ein Hund zu bespringen. Doch danach war Hass in ihm aufgewallt, Hass auf seine Geilheit und auf die Sünde, die ihn immer noch beherrschte, obwohl er sich schon unzählige Male dafür bestraft hatte. Mit einer Rute hatte er sich selbst gezüchtigt und anschließend so lange gefastet, bis er sicher war, dass der Allmächtige ihm vergeben hatte.
    Drei oder vier Tage zu fasten machte ihm nichts aus, er hatte es in den letzten Jahren schon öfter und auch wesentlich länger durchgehalten und war dafür jedes Mal mit wunderbaren Visionen beschenkt worden. Manchmal waren sie jedoch auch erschreckend gewesen und hatten ihn zutiefst verstört. Seit einiger Zeit allerdings nahmen die Bilder an Intensität zu. Bilder, die Zweifel in dem Mann weckten, ob das alles wirklich von Ihm kam und ihn nicht etwa der Leibhaftige zum Narren hielt. Doch er war dieser Zweifel Herr geworden. Nein, es konnte nur der Allmächtige sein, der ihn für seine Treue und Glaubensstärke belohnte und ihm einen Blick auf das gewährte, was schon der heilige Johannes auf der Insel Patmos hatte sehen dürfen – das Ende der Welt. Er würde es den Menschen verkünden. Die Zeit war gekommen, er spürte es seit Langem. Das Ende stand bevor, und er, Kilian Pankratius, war dazu berufen, der letzte Prophet zu sein, von dem die Schrift kündete – Elia, der erscheinen würde, bevor der große und schreckliche Tag des Herrn nahte. Wie hatte der Herr einst gesagt? » Ich bin gekommen, das Schwert zu bringen! «
    Sein Blick, der unverwandt auf dem Angesicht des Gekreuzigten ruhte, wurde weich, beinahe zärtlich. Der Mann erhob sich taumelnd auf die Knie. Sie schmerzten, doch das war ihm gleichgültig.
    » Lass mich dein Werkzeug sein, Herr « , flüsterte er. » Gebrauche mich, ich bin bereit. «

KAPITEL 1
    A nna Stäubling zog die Tür des kleinen Hauses ins Schloss und vergewisserte sich, dass die in helles Sonnenlicht getauchte Gasse nahe dem Rossmarkt menschenleer vor ihr lag. Was allerdings nicht ungewöhnlich war, denn seit die Pestilenz über Nürnberg hereingebrochen war, mieden die Bürger jeden unnötigen Aufenthalt im Freien. Entschlossen band sie sich ein Tuch um Mund und Nase. Das zierliche achtzehnjährige Mädchen schlug mit eiligen Schritten den Weg zum Grünen Markt ein , dem größten Marktplatz Nürnbergs. Dort würde sie ihn finden: Martin, den Ziehsohn ihres Onkels Gerald. Ihr Herz klopfte schneller, wie immer, wenn sie an den jungen Burschen mit den dunkelbraunen, halblangen Haaren dachte, der seit dem zarten Alter von zwei Jahren bei ihrem Oheim lebte. Zwei Jahre älter als sie war er und der klügste Mann, den sie kannte. Niemand wusste, wer seine leiblichen Eltern waren, und sollten Gerald Pfanner und seine Frau sie gekannt haben, so hatten sie jedenfalls nie darüber geredet.
    Anna hätte Martin mühelos aus dem Gedächtnis zeichnen können, so deutlich sah sie seine Gestalt und das lieb gewordene Gesicht vor sich, während sie durch die meist ungepflasterten Gassen
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