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Women of the Otherworld 02: Rückkehr der Wölfin

Women of the Otherworld 02: Rückkehr der Wölfin

Titel: Women of the Otherworld 02: Rückkehr der Wölfin
Autoren: Kelley Armstrong
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Prolog
    Er hasste den Wald. Hasste seine endlosen Nester von Feuchte und Dunkelheit. Hasste das unaufhörliche Gewirr von Bäumen und Sträuchern. Hasste den Geruch nach Verfall – tote Pflanzen, tote Tiere, alles starb hier. Selbst die lebenden Geschöpfe verfolgten unaufhörlich ihre nächste Mahlzeit, nur einen einzigen Fehlschlag von ihrem langsamen Abstieg in den Tod entfernt. Bald würde auch sein eigener Körper nur eine weitere Quelle des Gestanks sein, die die Luft verpestete – vielleicht begraben, vielleicht den Aasfressern überlassen, auf dass sein Tod den ihren um einen weiteren Tag hinausschob. Er würde sterben. Er wusste es; nicht mit der zielstrebigen Entschlossenheit des Selbstmörders oder der hoffnungslosen Verzweiflung des Todgeweihten. Er wusste es mit der schlichten Klarheit eines Mannes, der spürt, dass er nur noch Stunden von dem Übergang aus dieser Welt in die nächste entfernt ist. Hier in dieser stinkenden, dunklen, feuchten Hölle würde er sterben.
    Er suchte den Tod nicht. Wenn es ihm möglich gewesen wäre, hätte er ihn vermieden. Aber er konnte nicht. Er hatte es versucht, hatte sich tagelang auf die Flucht vorbereitet, seine Kräfte gespart, hatte sich zum Essen und zum Schlafen gezwungen. Und dann war er geflohen. Er hatte niemals wirklich daran geglaubt, dass es klappen würde. Natürlich hatte es auch nicht wirklich geklappt, es hatte nur so ausgesehen, wie eine in der Wüste schimmernde Fata Morgana, wobei die Oase sich nicht in Sonne und Sand verwandelt hatte, sondern in Nässe und Dunkelheit. Er war aus der Anlage entkommen und hatte sich im Wald wiedergefunden. Voller Hoffnung war er gerannt. Und weiter gerannt. Und war nirgends angekommen. Sie kamen näher, eben jetzt, in diesem Moment. Sie jagten ihn.
    Er konnte den Hund auf der Spur bellen hören. Es musste Methoden geben, den Hund irrezuführen, aber er kannte sie nicht. Er war in der Stadt geboren und aufgewachsen und wusste, wie er dort der Entdeckung entgehen konnte. Wie man am hellen Tag unsichtbar werden konnte, wie man so unauffällig wirkte, dass die Leute einem ins Gesicht sahen und niemanden bemerkten. Er wusste, wie er die Nachbarn in seinem Wohnblock grüßen musste, den Blick gesenkt, ein kurzes Nicken, keine Worte. Und wenn jemand nach dem Bewohner von Nummer 412 fragte, wusste niemand genau, wer eigentlich dort wohnte. War es das ältere Ehepaar? Die junge Familie? Das blinde Mädchen? Niemals unhöflich oder freundlich genug, um Aufmerksamkeit zu erregen, ging er in einem Meer von Menschen unter, die zu sehr mit ihrem Leben beschäftigt waren, um auf seines zu achten. Dort war er ein Meister der Unsichtbarkeit gewesen. Aber hier im Wald? Er hatte keinen Fuß mehr in einen Wald gesetzt, seit er zehn Jahre alt gewesen war und seine Eltern es aufgegeben hatten, einen Naturburschen aus ihm machen zu wollen. Sie hatten ihn bei seiner Großmutter unterschlüpfen lassen, während seine Geschwister wandern und zelten gingen. Hier war er verloren. Vollkommen verloren. Der Hund würde ihn aufspüren, und die Jäger würden ihn töten.
    »Du wirst mir nicht helfen, oder?«, fragte er, wobei er die Worte nur in Gedanken aussprach.
    Lange antwortete Qiona nicht. Er konnte sie dennoch spüren, den Schutzgeist, der ihn aus einem Winkel seiner Gedanken heraus leitete. Weiter hatte sie sich seit dem Tag, an dem sie sich zu erkennen gegeben hatte, nicht von ihm entfernt – damals, als er ein kleines Kind gewesen war und noch nicht sprechen konnte.
    »Willst du, dass ich dir helfe?«, fragte sie schließlich.
    »Du wirst es nicht tun. Nicht mal, wenn ich es will. Dies ist genau das, was du willst. Dass ich mich dir anschließe. Du wirst nichts dagegen tun.«
    Der Hund begann zu singen. Die Vorfreude gab dem Gebell einen melodischen Klang, als er sich seinem Opfer näherte. Jemand brüllte.
    Qiona seufzte. Das Geräusch flatterte wie ein Luftzug durch seine Gedanken. »Was willst du, dass ich tue?«
    »Wie komme ich hier raus?«, fragte er.
    Mehr Stille. Weitere Rufe.
    »Dort entlang«, sagte sie.
    Er wusste, welche Richtung sie meinte, obwohl er sie nicht sehen konnte. Ein Ayami hatte Präsenz und Substanz, aber keine Gestalt. Das war etwas, was man jemandem, der kein Schamane war, unmöglich erklären konnte. Für den Schamanen war es so leicht zu verstehen wie die Vorstellung von Wasser oder Himmel.
    Er wandte sich nach links und rannte. Zweige peitschten ihm ins Gesicht, gegen die nackte Brust und die Arme; sie
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