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Der bewaffnete Freund

Der bewaffnete Freund

Titel: Der bewaffnete Freund
Autoren: Raul Zelik
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I
    Kurz vor Algeciras, an der Meerenge zwischen Marokko und Spanien. Die Zeitung, die wir an der Tankstelle gekauft haben, liegt auf dem Handschuhfach. Zusammengefaltet.
    Die Titelseite zeigt die schwarzen Konturen eines ausgebrannten LKW. DER TERROR ESKALIERT, steht in großen Lettern über dem Foto. Die Nachrichten aus dem Irak wiederholen sich in diesen Tagen mit ermüdender Gleichförmigkeit.
    Wir fahren von der Nationalstraße N-340 ab, die wie eine schlecht gebaute Autobahn aussieht, lassen den Wagen stehen und gehen hinunter ans Meer, gelangen an einen schmalen Streifen zwischen Asphalt und Wasser, der noch nicht mit Apartmentsiedlungen bebaut ist. Im Auto hat Rabbee behauptet, er könne mit Stränden nichts anfangen. »Die einzige einleuchtende Funktion, die sie besitzen, ist die, dass sie das Meer vom Land fern halten.«
    Doch als er sich in den Sand setzt, macht er das gleiche beglückte Gesicht wie die Millionen Touristen und Pensionäre, die die Region längst in Besitz genommen haben.
    »Frisch.« Er redet vom Wetter. »Ich dachte, im August würden die Temperaturen nicht unter dreißig Grad fallen.«
    Obwohl die Luft feucht ist, herrscht klare Sicht. Auf der anderen Seite der Meerenge erkennt man die Konturen eines Gebirgszugs. Die Straße von Gibraltar ist an dieser Stelle keine zwanzig Kilometer breit. Wir lassen den Blick schweifen. Fast könnte man denken, es wäre leicht, einfach auf die andere Seite zu schwimmen.
    »Warum schreibst du deine Arbeit nicht hier?«
    Ich zucke mit den Achseln.
    »Wäre doch nahe liegend. Wo lässt sich etwas deutlicher erkennen als an den Rändern?«
    Dass sich vom Rand aus, von der Ausnahme her betrachtet, der Normalzustand besonders klar erkennen lässt, ist auch meine These, aber ich antworte nicht. Ich lege den Kopf in den Nacken. Mir schmerzen die Schultern, obwohl Rabbee die ganze Strecke von Sevilla bis hierher gefahren ist. Wie um die Bemerkung Rabbees zu bekräftigen, knattert ein Hubschrauber in dreißig Metern Höhe über unsere Köpfe hinweg den Küstenstreifen entlang. Der Helikopter ist in freundlichen Gelb- und Blautönen gehalten. Damit man nicht an den Zweck seines Einsatzes erinnert wird.
    »Das wäre nicht das Gleiche«, sage ich. »In X stellt sich das alles ganz anders dar.«
    Der Helikopter, mit dessen Hilfe nach boat people gesucht wird, nach illegalen Einwanderern, die man von der Küste fernzuhalten versucht, verschwindet in Richtung Südwesten. Hochseeschiffe steuern am Felsen von Gibraltar vorbei in den Atlantik hinaus. Container-Türme am Horizont.
    Rabbee sagt, er habe gelesen, dass in den kommenden Jahren noch einmal 800.000 Familien aus England und Deutschland an die Costa del Sol ziehen würden. Auch eine Form der Zuwanderung – aber keine, gegen die ein Polizei- und Militärapparat mobilisiert wird. Ich greife in den Sand und lasse den gemahlenen Quarz von einer Hand in die andere rieseln.
    Die Wellen überschlagen sich vor uns mit einem Klacken. Die Gischt versickert im Boden, Schaumblasen bleiben zurück. Auf der Wasseroberfläche treibt ein Ölfilm. Eine leere Plastiktüte, blutige Binden. Trotzdem sieht man Menschen ein paar Meter weiter ins Meer springen.
    Für einen Moment spüre ich den Drang, Rabbee anzufassen. Ihn in der Öffentlichkeit zu küssen, ist mir immer noch unvorstellbar. Vielleicht, weil ich nicht zugeordnet, nicht identifiziert werden will.
    Ich frage mich, ob diese Angst spießig ist.
    Rabbee meint, dass die Südspitze Spaniens ein Phänomen sei. »Hinter Algeciras bietet sich einem schlagartig ein anderes Bild. Die Vegetation am Atlantik ist grüner, die Landschaft weicher, die Strände sind leer.« Er schweigt einen Augenblick. »Aber auch dort wird sich das ändern.« Im gleichen Artikel, sagt er, habe es geheißen, an den Stränden südlich von Cádiz herrsche Goldgräberstimmung.
    Ich entscheide mich, nach Rabbees Zeigefinger zu greifen und halte ihn leicht umspannt.
     
    Tarifa. Freunde haben die Stadt gepriesen: »Ein Ort, der sich noch nicht wie Mallorca anfühlt.« Als wir durch die Straßen schlendern, will sich mir der Unterschied nicht recht erschließen. Cabriolets mit britischen, deutschen, luxemburgischen Kennzeichen; in den Schaufenstern Markenklamotten. Bilder, die an Rothenburg ob der Tauber erinnern: museale Inszenierung von Verkaufsflächen. Ich frage mich, ob Haberkamm auch das als sich konstituierende europäische Identität bezeichnen würde: dass sich die funktional gestalteten Innenstädte
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