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Der bewaffnete Freund

Der bewaffnete Freund

Titel: Der bewaffnete Freund
Autoren: Raul Zelik
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feiner, kindlicher als je zuvor.

III
    Was wäre passiert, wenn Montserrat und ich zusammengekommen wären? Wäre ich zu ihr gezogen? In der Region um X heimisch geworden? Hätte ich mich mit der Haltung Zubietas zu identifizieren begonnen, Katharina niemals getroffen, keine Tochter bekommen, mich von jenem Umfeld, das mich so gleichgültig ließ, auch räumlich distanziert? Und was hätte das schließlich bedeutet? Hätte ich mich irgendwann so entschieden wie Zubieta? Das eigene Leben weggeworfen, mir angemaßt zu richten, die Fähigkeit zu töten entwickelt?
    Montserrat und ich sind nicht zusammengekommen. Wir haben nicht miteinander geschlafen, uns nicht einmal geküsst.
    Vielleicht weil wir glaubten, der Altersunterschied sei zu groß.
     
    Ich bin dann nicht nach X, sondern nach Berlin gezogen.
     
    Nach einer Woche auf Armins Mühle brechen Rabbee und ich morgens auf. Das Auto lassen wir stehen, für Katharina, die am Nachmittag aus Portugal zurückkommen und mir den Wagen zwei Wochen später nach X bringen will.
    Als wir uns verabschieden, frage ich mich, ob ich Hanna vermissen werde. Der Eindruck, von nichts wirklich berührt zu werden. Manchmal habe ich das Gefühl, überhaupt keine Gefühle zu haben, emotional inexistent zu sein: Ich kann mich verhalten, als sei ich normal, Bekannte würden mich vielleicht sogar als herzlich bezeichnen, doch im Grunde bin ich oft nur von Gleichgültigkeit erfüllt. Als meine Schwester im Koma lag, habe ich mir tagelang gewünscht, sie würde endlich tot sein. Der Gedanke, sie als dauerhaft Kranke zu erleben, hat mich wahnsinnig gemacht. Dabei habe ich mich, wie alle in der Familie betonten, immer gut mit meiner Schwester verstanden. Dass sie sich dann schnell erholte, habe ich als großes Glück empfunden – mehr für mich als für sie.
    Was würden meine Freunde von mir denken, wenn sie wüssten, was in solchen Momenten wirklich in mir vorgeht?
    Ich verspreche Hanna, sie bald zu besuchen und umarme sie fest. Armin klopft uns auf die Schulter.
    »Kommt mal wieder … auch ohne Hanna … wann immer ihr wollt.«
    Ich nicke, dankbar. Seine Großzügigkeit beschämt mich.
    Als Hanna zu weinen beginnt, küsse ich sie auf die Augen. »Sei lieb zu Armin«, sage ich.
    »Lieb?« Hanna schluchzt.
    »Er meint langweilig«, erklärt Rabbee. Der Bus hält. Wir verstauen unsere Taschen in der Gepäckablage, steigen ein und winken. Hanna und ihr Großvater fallen schnell zurück.
     
    Murcia erreichen wir gegen neun Uhr morgens. In den Parkanlagen in der Nähe des Busbahnhofs campieren Hunderte von osteuropäischen, lateinamerikanischen und afrikanischen Sans Papiers. Wir müssen eine Stunde warten, bis es weiter geht, Rabbee und ich setzen uns im Park unter eine Pinie in den Schatten. Es sind nur Männer, die hier übernachten. Sie hoffen auf einen Job auf einer Plantage oder einer Baustelle. Rabbee formuliert für mich eine Frage an Haberkamm: »Wie verhält es sich mit der neuen europäischen Bürgeridentität, von der Sie sprechen, in Bezug auf jene Menschen, die von den europäischen Staaten in einen Zustand nackten Lebens – wie Giorgio Agamben sagen würde – versetzt werden, um sie als besonders preisgünstige Arbeitskräfte ausbeuten zu können?«
    Ich glaube, dass Haberkamms Antwort schwach ausfallen würde.
    Um zehn geht der Bus Richtung Madrid. Bald nachdem wir den Küstenstreifen hinter uns gelassen haben, beginnt die Meseta, landwirtschaftliches Ödland: Zitrusfrüchte, Wein, Knoblauch, Getreide.
    Und Clubs. Jede Einöde hat ihren Puff. Etwas außerhalb der Dörfer und Gehöfte stehen meist dreistöckige Gebäude mit zu jeder Tages- und Nachtzeit heruntergelassenen Rollläden und einer über zwei Meter hohen Hofmauer.
    Ich lehne den Kopf gegen die Scheibe.
    Ein Vibrieren.
     
    »Was hörst du?«, fragt Rabbee. Draußen gleiten abgeerntete Getreidefelder vorbei.
    Ich höre Sidestepper, lateinamerikanischer Electro.
    Auf dem Cover ist eine Person zu sehen, die der Kamera den Rücken zuwendet. Ich weiß nicht, ob es Richard Blair selbst ist, das einzige richtige Mitglied von Sidestepper. Auf der Rückseite seiner Jacke steht in großen Lettern BRASIL.
    Das Bild bedeutet mir fast mehr als die Musik selbst.
    »Und was hörst du?«, erwidere ich.
     
    Dass Rabbee stets Schalenkopfhörer aufhat, leuchtet mir einigermaßen ein, Rabbee legt auf. Warum ich mir hingegen einen iPod besorgt habe, ist mir ein Rätsel. Wenn ich länger als eine halbe Stunde Musik höre, fühle ich mich
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