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Der bewaffnete Freund

Der bewaffnete Freund

Titel: Der bewaffnete Freund
Autoren: Raul Zelik
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darstelle; die auf nord- und mitteleuropäische Käufer zugeschnittenen Einkaufscenter würden eindrucksvoll beweisen, dass auch Wohlhabende im Elend leben können.
    Schließlich fragt Armin, ob wir schon gegessen hätten. Es ist kurz vor acht, die Hitze legt sich allmählich. Hanna erzählt Rabbee, dass der Igel hinter dem alten Viehkarren manchmal aus seinem Versteck käme, aber nur nachts. Ich frage mich, ob es hier, in den Bergen von Murcia, überhaupt Igel gibt.
    Unter einer am Olivenbaum hängenden Petroleumlampe – Armins Mühle hat auch nach zehn Jahren noch keinen Stromanschluss – essen wir zu Abend. Obwohl ich Hanna, sie schläft fast, auf dem Schoß sitzen habe, ist mir unwohl zumute. Als ich noch mit Katharina zusammen war, lebte ich in der festen Überzeugung, ein Problem mit Vater-Mutter-Kind-Konstellationen zu haben. Jetzt stelle ich fest, dass es auch nicht besser ist, wenn neben dem Kind dessen alternativer Großvater und eine homosexuelle Affäre mit am Tisch sitzen.
    Später, als wir ins Bett gehen, bin ich froh, dass sich Rabbee zur Seite dreht und sofort einschläft.
    Wir fahren am nächsten Morgen die Berge hinauf, an einen Stausee, etwa eine halbe Stunde von Armins Mühle entfernt. Es ist kurz nach neun, noch keine brennende Hitze. Hellbraun und staubig erheben sich die Hänge rund um den See. Das spanische Bergland ist im Sommer nicht wirklich schön, zumindest nicht tagsüber. Unter der senkrecht stehenden Sonne verschwimmt die Landschaft hinter einem Schleier aus trockenem Dunst.
    Hanna sagt, dass wir hier doch wohnen könnten, am Wasser, alle zusammen. In einem kleinen weißen Haus mit Ziegen, Katzen und natürlich dem Igel. »Die ganze Familie. Hanna, Papa, Mama und Mama.«
    »Mama und Mama?«, frage ich.
    Rabbee grinst. »Wer ist denn die zweite Mama?«
    »Die Freundin von Papa.«
    »Das siehst du falsch. Papa ist die Freundin von Rabbee.«
    Doch Hanna interessiert sich nicht für Details. Sie will, dass wir ihre Schwimmringe aufblasen.
    Rabbee verhält sich vorbildlich. Er nimmt Hanna auf den Schoß und legt ihr die Ringe an.
    Wie gelassen er mit dem Kind umzugehen versteht. Er ist immer schnell herzlich.
    Ich blicke über den See.
    Dann greife ich nach der Zeitung.
    Wir haben El Mundo gekauft, weil ich behauptet habe, dass der Unterschied zur liberalen El País überschätzt werde. Ich schlage die Inlandsseite auf. Arbeitsplätze für Werftarbeiter, ein Versprechen, das uneingelöst bleiben dürfte; die täglichen Stellungnahmen über den Konflikt in der Region um X; die Forderung der katalanischen Linksnationalisten, die Archive der Franco-Diktatur neu zu öffnen.
    Und schließlich ein Foto mit längerem Text.
    Zwei Spalten auf zwanzig Zentimeter Höhe. Umstrukturierung der Terrorbande steht da. Der neue Kopf.
    Die Buchstaben flimmern in der Morgensonne. Ich streiche das Zeitungspapier glatt. Das Gesicht erkenne ich sofort. Der Mann auf dem Bild ist Zubieta.

II
    Wie Zubieta richtig hieß, habe ich nie gefragt. Das erste Mal bin ich ihm im Haus einer gemeinsamen Freundin begegnet. 1984, als er noch nicht untergetaucht war. Montse, die eigentlich Montserrat heißt wie der katalanische Berg, und ich hatten uns kurz zuvor auf der Comic-Messe in Angoulême kennen gelernt. In jenen Jahren konkurrierte ich mit ein paar Freunden darum, in den Oster- und Pfingstferien mit möglichst wenig Geld möglichst weit zu kommen, und dieses Mal hatte ich es bis in die westfranzösische Stadt geschafft, in der sich jedes Jahr die Comic-Szene trifft. Montse war zierlich, Kettenraucherin, sieben Jahre älter als ich. Wir begegneten uns am Stand des Casterman-Verlags, der die Comics von Hugo Pratt herausgab, und schon bald entwickelte sich eine eigentümliche Dreiecksbeziehung. Wir unterhielten uns über Corto Maltés, die von Hugo Pratt geschaffene Figur des gerechtigkeitsliebenden Vagabunden, der gleichermaßen an Che Guevara, Bruce Chatwin und den unsterblich schönen James Dean erinnerte, und wie aus einer plötzlichen Laune heraus lud mich Montserrat zu sich nach Hause ein. Sie lebte vierhundert Kilometer weiter südlich, auf der anderen Seite der Grenze, und bewohnte die erste Etage eines Hauses, das von den Nachbarn nur die Villa genannt wurde. Vom Küchenfenster aus sah man Viehweiden, eine alte Kirche, leicht heruntergekommene Industrieanlagen, einen kleinen Hafen und die raue atlantische See – die charakteristische Mischung der Region um X. Am Hang hinter dem Haus schnitten alte Bauern jeden
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