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Die Finsternis

Die Finsternis

Titel: Die Finsternis
Autoren: Kate Falls
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1
    Ich drosselte die Geschwindigkeit des U-Boots. Der lichtdurchflutete Ozean um uns herum schien unendlich weit und leer, doch ich wusste es besser. Wir steuerten geradewegs auf den größten Müllstrudel im Atlantik zu. Jederzeit konnten wir mit voller Breitseite gegen ein Stück Geschichte prallen.
    Im Strahl der Außenbeleuchtung des U-Boots wirbelte tatsächlich etwas aus der Dunkelheit auf uns zu. Gemma lehnte sich gegen das Aussichtsfenster. »Ein Fahrrad«, stieß sie staunend hervor. »Genau wie auf alten Fotos.«
    »Das bedeutet, wir sind fast da«, sagte ich.
    »Wir verstecken einen Anhänger voller Seetang im offenen Meer?«
    »Inmitten eines Müllstrudels«, bestätigte ich. »Genial, oder?« Ich überprüfte den Heckmonitor, um sicherzugehen, dass der gut verschlossene Wagen noch immer hinten an unserem U-Boot hing. »Hier kommt nie jemand her.«
    Gemma warf mir einen vielsagenden Blick zu. »Ich wette, aus gutem Grund.«
    »Die meisten Taucher fürchten sich davor, erschlagen zu werden …«
    »Tatsächlich?« Ein Lächeln umspielte ihre Lippen.
    »… aber ich habe den Strudel schon oft erkundet und bin noch am Leben.«
    »Ty, bitte versteh das jetzt nicht falsch …« Sie warf ihr langes Haar zurück und zog eine Schwimmweste unter dem Sitz hervor.
    Während sie die Weste anlegte, ließ ich das U-Boot steil nach unten absinken. Mit dem tonnenförmigen Rumpf und den doppelten Thermotriebwerken hatte es genügend Antriebskraft, um die schwimmenden Abfälle ohne große Schwierigkeiten zu durchkreuzen, solange wir nicht gegen etwas zu Großes stießen.
    Etwa fünfzehn Meter tiefer sahen wir verschiedene kleinere Gegenstände vorbeigleiten – eine Puppe ohne Kopf, Plastiktüten, Getränkedosen und Fischernetze. Obwohl die Netze nicht mehr in Gebrauch waren, konnten sie den Meerestieren immer noch gefährlich werden. Es versetzte mir einen Stich ins Herz, als wir einen Delfin entdeckten, der sich in einem der Netze verheddert hatte und schon lange ertrunken war. Wir sanken weiter in die Tiefe und größere Objekte rauschten vorbei – ein Fernsehgerät, das Kabel hinter sich herzog, eine Schaufensterpuppe, ein funkelnder Kronleuchter – all diese Dinge waren in einem Unterwasserwirbelsturm gefangen. Es schien, als hätte sich das gesamte Gerümpel der letzten Jahrhunderte hier zusammengefunden, um für immer in dem riesigen Strudel dahinzutreiben.
    »Woher kommt denn das ganze Zeug?« Gemma kniete sich auf ihren Sitz, um durch das Plexiglasverdeck des U-Boots zu spähen.
    »Es wurde überall im Atlantik von Winden und Strömungen eingefangen und hierhergetragen.« Ich änderte den Kurs, um nicht mit einem Kinderwagen zusammenzustoßen. Vorsorglich schaltete ich den Suchscheinwerfer ein und bewegte den Lichtstrahl durch die umherdriftenden Gegenstände, ohne mir annähernd vorstellen zu können, wie viele es waren. Ein starker Auftrieb hielt sie in der Schwebe, während Wrackbarsche, die größer waren als ich selbst, mit vorgestreckten Unterkiefern in den Ecken lauerten, als würden sie ahnen, dass irgendetwas Unheilvolles bevorstand.
    Als die Drehbewegung des Strudels zum Stillstand kam, wusste ich, dass wir das Auge erreicht hatten. An diesem Punkt kreisten die Abfälle nur noch auf der Stelle.
    »Das ist vermutlich eine dumme Frage«, sagte Gemma und richtete den Blick auf mich, »aber was hält den Anhänger davon ab, einfach wegzuschwimmen, wenn wir ihn hier zurücklassen?«
    »Ich werde ihn an etwas Großem befestigen.«
    »Gut, und was hält beides davon ab wegzuschwimmen?«
    »Wir befinden uns im Mittelpunkt des Strudels. Hier kann der Schrott nirgendwohin schwimmen. Außerdem komme ich schon bei Tagesanbruch zurück und hole ihn wieder ab. Dad will den voll beladenen Wagen bloß nicht über Nacht auf dem Acker stehen lassen. Da wäre er eine zu leichte Beute. Nur weil wir als einzige Familie unter den Siedlern bereit sind, einen Teil unserer Ernte an die Surfs zu verkaufen, heißt das noch lange nicht, dass wir ihnen auch vertrauen.«
    »Trotzdem kann ich mich nicht daran erinnern, dass dein Vater gesagt hätte: Versteck den Wagen in einem großen Müllstrudel .«
    »Es ist ihm egal, wo ich den Wagen verschwinden lasse, solange er in Sicherheit ist.«
    Sie lächelte. »Aha.«
    »Also, das könnte doch ein Anker sein.« Direkt vor uns drehte sich ein Flugzeugwrack mit der Geschwindigkeit eines Seesterns um sich selbst.
    Ich schaltete das U-Boot auf Leerlauf und griff nach meinem Helm, der
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