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Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)

Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Gerit Bertram
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ab vom Fressen und von der Hurerei und nahet euch zu Gott, ihr Sünder, so wird der Herr euch verschonen. «
    » Komm weiter! « Anna griff nach Sebastians Arm.
    In den letzten Wochen hatte die Zahl derer, die in den Gassen und auf den Märkten der Stadt ihre Bußpredigten hielten, deutlich zugenommen. Bis zum Sommer, als der Schwarze Tod Nürnberg erneut heimsuchte, hatten sich immer öfter Gruppen von unrasierten, ungewaschenen Männern vor den beiden Kirchen versammelt, die sich barfüßig und unter Anrufung der Heiligen mit Geißeln den entblößten Rücken blutig schlugen. Mittlerweile wurden sie der Stadt verwiesen. Sebastian verzog das Gesicht. Im vergangenen Frühling erst hatten Anna und er beim Verlassen der heiligen Messe durch eine Ansammlung dieser nach Schweiß und Blut stinkenden Kerle hindurchgehen müssen. Plötzlich hatte einer von ihnen ausgeholt und sich die mit Eisenstückchen gespickte Peitsche auf den Rücken geschlagen. Sebastian war nicht schnell genug zurückgewichen, Blutspritzer hatten sein Gesicht getroffen, und er hatte sich übergeben müssen.
    Stickige Luft schlug ihnen entgegen, als die Geschwister das Haus in der Findelgasse betraten. Anna schritt durch die Diele und öffnete die Tür zu den Geschäftsräumen, die sich im hinteren Teil des Hauses befanden. In der rechten Hand einen Gänsekiel, saß Gerald Pfanner an seinem Tisch und tunkte die Feder in ein Tintenfässchen.
    » Oheim, wir sind zurück. «
    Mit verfinsterter Miene sah er auf. » Wo wart ihr zwei so lange? «
    Anna schenkte ihm ein scheues Lächeln, die sicherste Waffe gegen den Zorn des Onkels. » Wir waren auf dem St.-Rochus-Friedhof « , antwortete sie mit tonloser Stimme. » Mutter, sie wurde … « Sie brach ab.
    » Ihr hättet nicht hingehen sollen. « Pfanner schüttelte unwillig den Kopf. » Geh nach oben und sorge dafür, dass wir etwas zu essen bekommen. Ich bin gleich fertig. «
    » Natürlich, Onkel « , beeilte sie sich zu versichern.
    Von Sebastian gefolgt, stieg sie die Treppe ins erste Stockwerk hinauf, in dem sich Pfanners Wohnung befand, betrat die Küche und begann, das Feuer in dem gemauerten Herd neu zu schüren. Das tat sie in diesem Moment besonders gern, denn ihre Finger waren gefühllos von der Kälte. Seit dem Ausbruch der verdammten Seuche war ihr innerlich nicht wieder warm geworden. Die eiternden Beulen und die Schmerzenslaute ihrer Familie verfolgten sie selbst im Schlaf. Anna vernahm die schweren Schritte des Onkels, der die ausgetretenen Treppenstufen heraufkam, sowie das Knarren der Abtritttür, die sich neben der Küche befand. Im Gegensatz zu dem einfachen Haus ihrer Eltern, in dem sie gelebt hatten, besaß das Bürgerhaus im Herzen der Stadt einen Aborterker, und Anna war froh, ihre Notdurft nicht auf dem Hof verrichten zu müssen, wie sie es bisher gewohnt war.
    » Sebastian, du kannst das Geschirr in die Stube bringen und den Tisch decken « , bat sie den Bruder, der ihr auf einem Stuhl sitzend zugesehen hatte.
    Sofort nahm er drei Teller und Löffel aus dem Spind und ging in die Stube hinüber. Der mit schweren Möbeln eingerichtete Raum, in dessen Mitte ein runder Tisch mit vier Stühlen stand, nahm den größten Teil des ersten Stockwerks ein. Anna vermutete, dass fast das ganze Häuschen der Stäublings in diesen einen Raum hineingepasst hätte.
    Geschirr klapperte, kurze Zeit später waren ein Klirren und der deftige Fluch ihres Bruders zu hören. Anna lief in die Stube, wo Sebastian inmitten eines Scherbenhaufens stand.
    Gerald Pfanner betrat den Raum, und seine Brauen zogen sich zusammen. » Haben wir mal wieder einen Teller zerschlagen? «
    Ihr Bruder erbleichte unter dem strafenden Blick und biss sich auf die Lippen. Rasch half sie ihm, die Scherben aufzusammeln. Währenddessen musterte sie sein schmales Gesicht mit den kurzen, dunklen Haaren. Seine Wimpern waren so lang wie die eines Mädchens, der Ausdruck in Sebastians Augen war stets voller Fragen, die er sich nicht zu stellen getraute. Sie tätschelte ihm den Arm.
    » Du brauchst ihn nicht immer in Schutz zu nehmen, Mädel « , stieß der Onkel hervor und wandte sich Sebastian zu. » Was bist du nur für ein Tölpel! «
    Der Junge wendete sich ab.
    » Sei bitte nicht so streng mit ihm, Onkel « , beschwichtigte Anna ihn. » Dafür kann er wunderbare Dinge schnitzen. Der Herrgott verteilt seine Gaben eben, wie er es möchte. «
    Der Mann mit den schütteren Haaren schüttelte den Kopf. » Dummes Zeug « , murmelte er.
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