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Hüttengaudi

Hüttengaudi

Titel: Hüttengaudi
Autoren: Nicola Förg
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Prolog
    Was hatte ihre Mutter ihr zum Dreißigsten grinsend auf den weiteren Lebensweg mitgegeben? Als Frau musst du dich irgendwann entscheiden, ob du eine Kuh oder eine Ziege werden willst. Irmi hatte das schrecklich zynisch gefunden – und über die letzten zwanzig Jahre zugenommen. Damit gehörte sie eindeutig in die Kategorie Kuh, dabei hatte sie sich für diese Statur gar nicht bewusst entschieden. Die Pfunde waren einfach über sie gekommen – mäßig, aber gleichmäßig.
    Sie war nicht eitel, höchstens ein ganz kleines bisschen. Sie war kein Fashion Victim, wirkte aber auch nicht ungepflegt. Kleidung kaufte sie meist im Vorübergehen an Sonderpreisständern – weniger wegen des reduzierten Preises, sondern weil sie sich ihr quasi in den Weg stellte. Sie wäre nie auf die Idee gekommen, freiwillig einen Modeladen zu betreten. Shopping stand auf ihrer Liste überhaupt nirgendwo.
    Außerdem gab es Kataloge, in denen man die Ecken umknicken konnte von all den Seiten, auf denen Verlockendes zu sehen war. Sie nahm die Kataloge bisweilen mit in die Badewanne, wo sie regelmäßig abstürzten, woraufhin die bereits ausgefüllten Bestellkarten bis zur Unkenntlichkeit verwischten und sich die Eselsohren mitsamt des Katalogs auflösten.
    Eigentlich empfand sie es jedes Mal als Affront, wenn so ein Moppelfrauenkatalog eintraf: von Größe vierzig bis Größe sechzig. Woher wussten die, dass sie keine Größe sechsunddreißig war? Vermutlich durch den Verkauf von Adressen, was Datenschutz betraf, gab sie sich als Polizistin erst recht keinen Illusionen hin. Es kamen auch Werbeblättchen mit Wunderpillen – und ja, sie war gefährdet. Verschämt dachte sie immer wieder mal darüber nach, sich so etwas zu bestellen. Klang einfach zu gut und zu einfach: essen wie sonst und dabei abnehmen. Fressen wie beim römischen Gelage und dann die Ich-setz-nicht-an-Pille hinterher. Auch die Bauchmuskeltrainer aus dem Shopping-Fernsehen ließen sie immer mal zusammenzucken. Sollte sie sich so was mal bestellen? Nein, natürlich würde sie das nicht tun. Das wäre ja peinlich.
    Und dann war Lissi gekommen, ihre Nachbarin. Lissi, das Energiewunder. Lissi, der Kugelblitz. Einsfünfundfünfzig groß und rund. Dabei war sie beileibe nicht fett oder unförmig, nur eben rund mit dem besten Dirndldekolleté, das man sich vorstellen konnte. Von Figurfragen war sie meist unbeeindruckt, umso mehr hatte sich Irmi gewundert, als Lissi ihr die kühne Frage gestellt hatte, ob sie mit ihr nach Oberstaufen fahren wolle.
    Irmi hatte erst einige Sekunden überlegt: Oberstaufen? Lag das nicht irgendwo kurz vor Vorarlberg, wo die Menschen so einen drolligen Dialekt hatten? Und was sollten sie dort?
    »Wir machen eine Schrothkur«, hatte Lissi erklärt.
    Leicht befremdet hatte Irmi das »wir« registriert, aber in ihrer flammenden Rede für das Schrothwesen hatte ihre Nachbarin am »wir« festgehalten. »Was glaubst du, wie gut uns das tut! Es geht uns ja nicht ums Abnehmen. Es geht ums Entgiften. Ohne Verzicht kein Genuss, ohne Kampf kein Sieg, ohne Reinigung keine Heilung«, schmetterte sie.
    Irmi fragte sich, aus welcher Broschüre sie das wohl hatte. Ihre Einwände, sie müsse weder kämpfen, noch bedürfe sie irgendeiner Heilung, wurden geflissentlich übergehört.
    »Wir brauchen das. Mal raus aus dem Alltag. Und Oberstaufen passt viel besser zu uns als die Karibik oder so.« Schwungvoll hatte Lissi ein Unterkunftsverzeichnis auf den Tisch geworfen. »Ich hab auch schon was ausgesucht für uns. Was Kleines, Kuscheliges.«
    Hinterher hatte Irmi nicht den blassesten Schimmer, warum sie schließlich zugestimmt hatte.

    Wie hatte ihre Mutter das gestern formuliert? »Wenn du weiter so abnimmst, wirst du in zehn Jahren aussehen wie eine alte Ziege. Mager und faltig – zickig bist ja eh schon.« Sie hatte das »mager« besonders tirolerisch betont: »mooger«. Ihre Tochter Sophia war herumgehüpft wie ein Derwisch und hatte laut gerufen: »Mama ist ’ne Zicke, Mama ist ’ne Zicke!«
    Kathi hatte beide mit einem »Leckts mi« gestoppt, die Tür zugeknallt und war die Treppe hinaufgerannt mit einem Geräuschpegel, der auch auf eine Herde Flusspferde hätte deuten können. Vorausgesetzt, Flusspferde würden durch Tiroler Häuser trampeln.
    Kathi war vor den Spiegel getreten, hatte ihr bauchfreies T-Shirt noch weiter hochgezogen und nüchtern konstatiert: Rippen statt Wölbung nach außen. Die Brüste noch kleiner als früher, und da hatte sie auch nicht
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