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Ein unmoralisches Angebot

Ein unmoralisches Angebot

Titel: Ein unmoralisches Angebot
Autoren: NICOLA CORNICK
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1. KAPITEL

    Mr. Julius Churchward, Repräsentant der angesehenen Londoner Anwaltskanzlei gleichen Namens, war imstande, eine Vielzahl von Mienen aufzusetzen, unter denen er je nach Natur der Mitteilung, die er seinen aristokratischen Klienten zu machen hatte, die Auswahl traf. Er befleißigte sich einer mitfühlenden, wenngleich ernsten Miene, wenn er die Neuigkeit bekannt zu geben hatte, dass die Höhe eines Erbes beträchtlich kleiner als erwartet ausfiel. Seine Miene war mitfühlend, wenngleich bedauernd, wenn es um das Vorhandensein illegitimer Nachkommen und Treuebruch ging. Schließlich konnte er noch eine für alle Zwecke genügende betrübte Miene aufsetzen, wenn die genaue Natur des anliegenden Problems unklar war. Auf diese dritte Möglichkeit hatte er jetzt zurückgegriffen, während er in Bath vor der Tür von Lady Amelia Fentons schmuckem Haus stand. Er kannte nämlich, um der Wahrheit die Ehre zu geben, den Inhalt des Schreibens nicht, das er übergeben musste.
    Tags zuvor war er von London hergereist, hatte die Nacht in Newbury im „Star and Garter“ verbracht und die Fahrt im Morgengrauen fortgesetzt. Eile war geboten, weil er die Reise im Winter hatte unternehmen müssen, noch dazu kurz vor Weihnachten. Die Morgensonne erwärmte die Sandsteine, aus denen die Häuser in der Brock Street errichtet worden waren, doch die Winterluft war kühl. Mr. Churchward fröstelte in seinem Mantel und hoffte, Miss Sarah Sheridan, Lady Fentons Gesellschafterin, möge nicht mehr beim Frühstück sein.
    Ein adrett gekleidetes Hausmädchen öffnete ihm und geleitete ihn in den Salon, den er von einem Besuch vor drei Jahren noch gut in Erinnerung hatte. Bei diesem Besuch hatte er Miss Sheridan die enttäuschende Nachricht übermitteln müssen, ihr Bruder Frank habe ihr kein nennenswertes Erbe hinterlassen. Er dachte an einen weiteren, fünf Jahre zurückliegenden Besuch, bei dem er die noch deprimierendere Neuigkeit verkündet hatte, Lord Sheridan habe seiner Tochter nur einen kleinen Geldbetrag vererbt, durch den sie vor völliger Armut bewahrt wurde. Sie hatte diese Mitteilung mit Fassung ertragen und erwidert, sie habe nur wenige materielle Wünsche. Durch ihre Einstellung hatte sie seine Bewunderung errungen.
    Mr. Churchward war sich Miss Sheridans misslicher Lage sehr bewusst. Eine Dame von ihrer Herkunft sollte seiner Meinung nach nicht als Gesellschafterin arbeiten, selbst nicht bei einer so wohlwollenden Verwandten wie ihrer Cousine. Er war überzeugt, dass Lady Fenton viel zu großzügig war, um Miss Sheridan je das Gefühl zu geben, nur eine arme Verwandte zu sein. Trotzdem fand er es unpassend, dass Miss Sheridan bei ihr beschäftigt war. Da sie jung und recht hübsch war, hatte er jahrelang gehofft, sie werde eine gute Partie machen. Inzwischen waren jedoch drei Jahre verstrichen, und sie hatte noch immer nicht geheiratet.
    Traurig schüttelte er den Kopf und wartete. Er bemühte sich, niemanden zu bevorzugen. Das wäre sehr ungehörig gewesen, da er so viele hoch stehende Klienten hatte. In Miss Sheridans Fall machte er jedoch eine Ausnahme.
    Die Tür ging auf, und Sarah betrat mit ausgestreckter Hand, ganz so, als sei er ein guter Freund und nicht der Überbringer möglicherweise schlechter Nachrichten, den Salon.
    „Mein lieber Mr. Churchward! Wie geht es Ihnen, Sir? Das ist ein unerwartetes Vergnügen!“
    Er war sich dessen nicht so sicher. Der Brief, den er bei sich hatte, schien schwer in seinem Portefeuille zu wiegen. Aber im hellen Tageslicht schienen solche Gedanken töricht zu sein. Der Salon war vom lichten Schein der Wintersonne erfüllt, der voll auf Miss Sheridan fiel. Sie war jedoch eine Frau, deren Gesicht und Figur selbst im unschmeichelhaftesten Licht noch bezaubernd wirkten. Sie hatte einen frischen, rosigen Teint, und das schlichte Musselinkleid brachte ihre schlanke Gestalt gut zur Geltung.
    „Wie geht es Ihnen, Miss Sheridan? Ich hoffe, Sie befinden sich bei guter Gesundheit?“
    Mr. Churchward nahm Platz und räusperte sich. Es erstaunte ihn, dass er nervös war. Er war so nervös, dass er keine Lust hatte, über das Wetter oder die Reise zu reden. Er machte das Portefeuille auf und nahm das einfache weiße Couvert heraus.
    „Entschuldigen Sie meine Direktheit, Madam, doch man hat mich gebeten, Ihnen diesen Brief auszuhändigen. Die Art, wie man dieses Ansinnen an mich gerichtet hat, war ziemlich ungewöhnlich, aber vielleicht möchten Sie erst den Brief lesen, ehe ich weitere
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