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Einen Stein für Danny Fisher: Roman

Einen Stein für Danny Fisher: Roman

Titel: Einen Stein für Danny Fisher: Roman
Autoren: Harold Robbins
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EINEN STEIN FÜR DANNY FISHER
    Es gibt viele Arten, um auf den Friedhof Mount Zion zu gelangen. Du kannst mit dem Auto durch die unzähligen schönen Parkanlagen von Long Island fahren, oder mit der U-Bahn, dem Autobus oder dem Trolleybus. Es gibt viele Wege, um auf den Friedhof Mount Zion zu gelangen, aber in dieser Woche gibt's keinen Weg, der nicht dichtgedrängt und überfüllt von Menschen wäre.
    "Woher kommt das?" fragst du, denn inmitten des brausenden Lebens stehend, ist's immer beängstigend, auf einen Friedhof zu gehen - außer zu ganz bestimmten Zeiten. Und diese Woche, die Woche vor den hochheiligen Tagen, gehört dazu. Es ist die Woche, in der Jehova, der Herr, seine Engel um sich versammelt und das Buch des Lebens vor ihnen aufschlägt. Auch dein Name ist auf einer dieser Seiten aufgeschrieben, und dein Schicksal für das kommende Jahr aufgezeichnet.
    Sechs Tage lang bleibt das Buch aufgeschlagen, und du hast Gelegenheit, zu beweisen, dass du Seiner Gnade würdig bist. Während dieser sechs Tage widmest du dich der Barmherzigkeit und frommen Werken. Eines dieser Werke ist der alljährliche Besuch bei den Toten.
    Um sicher zu sein, dass dein Besuch bei den Abgeschiedenen auch aufgezeichnet und richtig beachtet wird, wirst du einen kleinen Stein vom Boden aufheben und auf das Grabmal legen, damit ihn der Engel, der die Taten der Menschen vermerkt, sieht, wenn er allnächtlich durch den Friedhof wandelt.
    Ihr versammelt euch zur verabredeten Zeit unter dem weißen, steinernen Torbogen. Die Worte FRIEDHOF MOUNT ZION sind in den Stein zu euren Häuptern eingemeißelt. Ihr seid euer sechs. Ihr seht euch verlegen an, und die Worte kommen nur steif über eure Lippen. Ihr seid alle gekommen. Wortlos, doch wie auf geheime Verabredung setzt ihr euch alle gleichzeitig in Bewegung und beginnt unter dem Torbogen hindurchzuschreiten.
    Zu eurer Rechten ist das Pförtnerhaus; zu eurer Linken die Friedhofsverwaltung. In ihrem Büro sind die gegenwärtigen Adressen vieler Menschen mit ihrer Platznummer und dem Namen des Beerdigungsinstituts registriert, die gleichzeitig mit dir auf dieser Erde gewandelt, und von vielen anderen, die vor deiner Zeit auf Erden gewesen waren. Du verweilst jedoch nicht bei diesem Gedanken, denn alle, außer mir, gehören für dich dem Gestern an.
    Du gehst eine lange Allee entlang und suchst einen bestimmten Weg. Schließlich erkennst du ihn: weiße Ziffern auf einem schwarzen Schild. Du biegst in diesen Weg ein, und deine Augen überfliegen bei jeder Abteilung die Namen der Beerdigungsinstitute. Der Name, den du gesucht hast, wird jetzt mit glänzenden schwarzen Buchstaben auf grauem Stein für dich sichtbar. Du betrittst die Abteilung.
    Ein kleines altes Männchen mit einem weißen, Tabakfleckigen Bart und Schnurrbart eilt euch hastig entgegen, um euch zu begrüßen. Er lächelt schüchtern, während seine Finger mit dem kleinen Abzeichen in seinem Knopfloch spielen. Er ist Angestellter des Beerdigungsinstituts und wird die Gebete für euch hebräisch hersagen, wie es seit vielen Jahren der Brauch ist.
    Du flüsterst einen Namen. Er nickt mit einer vogelartigen Gebärde zustimmend mit dem Kopf; er kennt das Grab, das du suchst. Er dreht sich um, und du folgst ihm; du steigst behutsam über die dicht nebeneinanderliegenden Gräber; hier ist der Platz sehr kostbar. Jetzt bleibt er stehen und streckt seine alte zittrige Hand aus. Du nickst mit dem Kopf, es ist das Grab, das du suchst, und er tritt zurück.
    Ein Flugzeug dröhnt über eure Köpfe hinweg, es ist im Begriff, auf dem nahe liegenden Flugplatz zu landen, aber du blickst nicht auf. Du liest die Worte auf dem Grabmal. Frieden und Ruhe ziehen in dein Gemüt. Die Spannung des Tages fällt von dir ab. Du hebst den Blick und nickst dem Mann leicht zu, der jetzt die Gebete sprechen wird.
    Er tritt wieder vor und steht nun vor euch. Er fragt nach euren Namen, um sie in seine Gebete einzuschließen. Einer nach dem andren antwortet ihm.
    Meine Mutter.
    Mein Vater.
    Meine Schwester.
    Mein Schwager.
    Meine Frau.
    Mein Sohn.
    Die Gebete des Mannes sind ein mechanisches Geleier, ein unverständliches Geschnatter von Worten, das monoton von den Gräbern widerhallt. Doch ihr hört ihm gar nicht zu. Zahllose Erinnerungen erfüllen euer Denken, und für jeden von euch bin ich ein anderer Mensch.
    Schließlich sind die Gebete gesprochen und der Mann bezahlt, der sich entfernt, um an anderer Stelle seinen Dienst zu versehen. Du suchst den Boden nach
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