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Winter in Maine

Winter in Maine

Titel: Winter in Maine
Autoren: Gerard Donovan
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Gewehr über den Kopf, doch ich zielte genau zwischen seine Augen, er sah mich an, direkt am Visier entlang, und ließ das Gewehr neben sich in die Mulde sinken, in der er sich von Anfang an hätte verbergen sollen, denn dann hätte sein Körper tiefer gelegen als sein Gewehr.
    Du bist es, sagte er. Ich hab's doch gewusst.
    Ich entgegnete: Hast dein Wissen aber nicht genutzt. Während ich langsam näher trat, zielte ich auf seine Brust, damit ich ihn nicht verfehlte, falls er sich bewegte. Dann reden wir also doch noch miteinander, sagte ich.
    Mich erschießen, das ist was anderes.
    Tatsächlich, erwiderte ich. Das glaube ich nicht. Ich erschie ße dich, und du stirbst. Ich glaube, in Wahrheit ist es kein Unterschied.
    Ich meine, einen Polizeibeamten erschießen.
    Nein, für dich spielt das keine Rolle, sagte ich. Und was aus mir wird, darüber brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Wirst du auch nicht.
    Er schien seinen Vorrat an Worten erschöpft zu haben, des halb redete ich weiter.
    Ich bin überrascht, dass du mit mir redest.
    Er starrte unverhohlen sein Gewehr an. Als würde ich ein fach tatenlos stehen bleiben.
    Ich habe eine Frage, sagte ich und stemmte das Gewehr gegen die Schulter, während ich mit der anderen Hand die Zeichnung halb aus der Tasche zog, sie dann aber wieder wegsteckte. Ich wollte jetzt lieber nicht mit einem Blatt Papier hantieren. Im Nu konnte er das Gewehr hochreißen.
    Hast du meinen Hund erschossen?, fragte ich. Er wurde hier in der Gegend erschossen, ganz nah an meinem Haus.
    Nein, erwiderte er. Geht's hier bloß um einen Hund?
    Ich hob das Gewehr. Sind das deine letzten Worte in dieser Sache?
    Plötzlich zerbrach er wie eine Porzellantasse auf Beton boden und bedeckte das Gesicht mit den Händen, als könnten sie eine 303er Patrone aufhalten. Ein lauter Schrei. Mein Gott, bitte bring mich nicht um. Bitte. Ich will nicht sterben.
    Troy, sagte ich und hielt das Gewehr auf Augenhöhe, wäh rend ich ihn mit dem vertrauten Vornamen ansprach, ich bin wirklich nicht Gott.
    Ich erzähl's niemandem. Nein, ich hab keinen Hund erschos sen, ich war's nicht.
    Er griff nach seiner Waffe, und ich stieß sie mit dem Fuß weg, schoss vor ihm auf den Boden, als er hinterherhechtete, und lud nach, während er vor Schreck zusammenzuckte, im Schnee und an seiner Jacke herumtastete, aber keine Kugel, kein Loch, kein Blut entdecken konnte. Er sah mein Gewehr an und duckte sich, als es wieder auf ihn zielte. Er hielt die Hände vor den Kopf und wartete auf den Schuss.
    In was für einer Branche arbeitest du?, fragte ich.
    Er schrie, stellte dann aber fest, dass ich, statt zu schießen, gesprochen hatte.
    Er sagte: Das weißt du doch. Seine Stimme zitterte wie das Wasser eines Teichs im Wind.
    Ich meine nicht deinen Beruf. Ich hab irgendwann gehört, dass du abends noch was anderes machst.
    Sicherheit, antwortete er. Ich hab eine Sicherheitsfirma. Sicherheit, sagte ich.
    Er nickte.
    Läuft das gut?
    Er nickte.
    Danach schwieg ich. Der Motor des Pick-ups ging mir auf die Nerven, und ich wollte ihn ausschalten, hatte es satt, so laut reden zu müssen, weil der Tote da drüben in seinem Wagen fuhr.
    Es stimmt, dass Männer urinieren, wenn sie Angst haben.
    Der Körper entledigt sich allen Ballasts, um fliehen zu können. Troys Hose war nass.
    Ich sagte: Zieh deine Jacke aus.
    Er gehorchte. Ich forderte ihn auf, die Taschen zu leeren, und sah ein Handy und Schlüssel und so weiter. Er stand in einem Flanellhemd da, schwarz, mit Beige am Kragen.
    Wie spät ist es?, fragte ich.
    Er betrachtete sein Handgelenk. Nach vier.
    Wir gehen jetzt nach Hause, sagte ich. Zieh die Jacke wieder an und schalte für deinen Freund den Motor aus.
    Während er noch überlegte, worin der Trick bestand, wann und wo die Kugel ein Loch in ihn reißen würde, rappelte er sich auf, streifte die Jacke über und zog den weißen Schal von seinem noch weißeren Hals. Als er den Motor seines Gehilfen ausgeschaltet hatte, stellte er mir eine weitere Frage.
    Wo ist zu Hause?
    Zweiter Stern von rechts, sagte ich. Was?
    Folge mir, aber du gehst vorneweg. Zu Hause liegt da vorn, und jetzt kein Geschwätz mehr!
    Wir gingen unter dem aufgehenden Mond durch den schwach glänzenden Schnee zur Hütte, zwei Männer und ihre Schritte, und einer drückte dem anderen ein Gewehr in den Rücken, die älteste Machtbekundung.
    46
    Ich hatte es nicht eilig, irgendetwas zu sagen, ich wollte bloß das Haus erreichen, bevor es stockdunkel war.
    Das war eine
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