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Wie immer Chefsache

Wie immer Chefsache

Titel: Wie immer Chefsache
Autoren: Martin Ruetter
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und Goldfinger. Mit Arco war nicht zu spaßen. Andere Kinder spielten ausgelassen mit dem Hund ihrer Tante, Mattes musste die Begegnungen mit ihm überleben. Der Nervenkitzel begann, sobald er an der Haustür klingelte, aber gerade das machten seine Besuche bei Tante Thea so anziehend. Drinnen rastete Arco aus. Er bellte, und Mattes hörte an der sich schnell steigernden Lautstärke, dass der Hund bis hinter die Haustür rannte und dort auf sein Opfer wartete. Tante Thea kam wackelnd hinterher, riss die Tür weit auf und sagte: »Tach, Mattes. Komm rein!« Seltsamerweise bemerkte sie nichts von der drohenden Gefahr, die ihr Hund doch ganz deutlich ausstrahlte. Mit langsamen Bewegungen betrat Mattes den Flur und behielt dabei Arco im Augenwinkel, der ihn drohend anknurrte. »Ach, der tut nix!«, hatte Tante Thea abgewunken, als er sie mal gebeten hatte, den Hund festzubinden. Seitdem fragte er nicht mehr. Dass Erwachsene vieles nicht mitbekamen und sich manchmal erschreckend dumm benahmen, hatte er schon früh festgestellt und als Tatsache akzeptiert. Tante Thea lächelte ihn freundlich an: »Kannst ja deine Jacke schon ausziehen«, drehte sich um und verschwand in der Küche. Mattes blieb mit dem lauernden Arco im Flur zurück.
    Es war ein ungeschriebenes Gesetz zwischen ihnen, dass er eine Minute still im Flur herumstehen musste, damit Arco ihn nur bedrohlich ansehen, aber nicht zerreißen würde. Verlassen konnte er sich auf diesen Nichtangriffspakt aber nicht. Es war nur eine Möglichkeit, eventuell auch diesmal heil davonzukommen. Eine falsche Bewegung, ein zu schnelles Heben des Armes, ein Hauch schlechter Laune, und Arco würde angreifen. Er war wie ein lauernder Mafiaboss, der auf jede Bewegung, die er aus dem Augenwinkel mitbekam, reflexartig mit dem Abfeuern seines Maschinengewehres reagieren würde. Dabei konnten völlig unschuldige Menschen sterben. Der Fensterputzer, der Postbote oder kleine Jungs, die ihre Tante besuchen wollten. Wenn er jetzt etwas falsch machte, müsste Tante Thea versuchen, sein Bein aus den bluttriefenden Zähnen des Hundes zu bekommen. Oder seine abgerissenen Körperteile aufsammeln und seinen Eltern erklären, warum er nicht zum Abendessen und überhaupt nie wieder nach Hause kommen würde.
    Sobald Arco innerhalb der Minute eine etwas zu schnelle und von ihm als unangemessen empfundene Bewegung sah, knurrte er drohend und zeigte seine alten, gelben Zähne. Mattes tat immer so, als wolle er sowieso gerade gerne im Flur stehen bleiben und interessiert die Wände anschauen. Schöne Tapete. Bloß nicht zeigen, dass er Angst hatte. Allerdings hatte er mal gehört, dass Hunde Angst kilometerweit riechen können, und wenn Arco nur einigermaßen gut riechen konnte, würde er ihn nicht mit einer gespielt lässigen Körperhaltung täuschen können. Sein Magen grummelte, das Blut rauschte durch die Adern, und er ahnte, dass er in seinem weiteren Leben nur noch selten in eine so gefährliche Lage kommen würde. Um bei Arco keine niederen Instinkte auszulösen, die unzweifelhaft in einem Blutbad enden würden, bewegte sich Mattes nur in Zeitlupe. In verzögerter Zeitlupe sozusagen. In einer Geschwindigkeit, die eine kriechende Schnecke wie ein Formel-1-Auto hätte aussehen lassen. In der Küche hörte er seine Tante hantieren, die vertrauensvoll davon ausging, dass ihr Hund niemandem etwas tun würde. »Nein, Arco ist nicht gefährlich!« Sie merkte es einfach nicht. Aber er, Mattes, spürte es genau. Komisch, dass er das als achtjähriger Junge besser erkennen konnte als seine erwachsene Tante Thea.
    Erst wenn er ganz sicher war, dass die Minute auf jeden Fall und hundertprozentig vorbei war, verließ er vorsichtig den Flur und ging mit langsamen Schritten in Richtung Küche. Immer noch mit größten Befürchtungen, denn es konnte ja sein, dass Arco inzwischen auf zwei Minuten bestand. Nie wäre er auf den Gedanken gekommen, durch die Wohnung zu rennen oder auch nur fröhlich zu hopsen. Die Anwesenheit des Hundes erforderte größte Disziplin. Arco ließ ihn jedes Mal gehen und setzte nur seinen »Freundchen, ich beobachte dich, pass auf, was du hier machst!«-Blick auf. Mattes war vorerst geduldet. Niemals aber fühlte er sich ganz sicher oder vom Mafiaboss als Bandenmitglied akzeptiert.
    Mattes schüttelte den Gedanken an die Begegnung mit Arco ab und pfiff nach Mina, die schwanzwedelnd aus dem Wohnzimmer kam. Es war Zeit für einen Gang um den Block. Was für ein Unterschied zu Arco, dachte
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