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Wie immer Chefsache

Wie immer Chefsache

Titel: Wie immer Chefsache
Autoren: Martin Ruetter
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Entscheidung über ihre gemeinsame Zukunft getroffen hatte. Im Entscheidungen treffen war er noch nie so gut gewesen. Entscheidungen setzten voraus, dass man Möglichkeiten abwägen und sein Handeln aktiv planen musste. Das war nicht sein Ding. Er hatte meistens gewartet, bis etwas entschieden war und er nur noch handeln musste.
    Mattes unterteilte Menschen in Sucher und Finder. Die Sucher waren Menschen, die ihr Vorgehen planten, aktiv handelten, Dinge anpackten und ihre Chancen suchten. Diese Menschen waren ihm zuwider. Ihm war nahezu alles zuwider, was ein Konzept hatte. Für ihn hatten Genies, zu denen er sich unumwunden und ohne jeden Zweifel zählte, kein Konzept nötig. Sie waren Finder. Sie lebten in den Tag hinein und fanden, mehr oder weniger zufällig, ihre Chancen. Wobei er natürlich insgeheim darauf hoffte, von der Chance selbst gefunden zu werden. Die Möglichkeit, dass eines Tages die ZEIT anrufen und ihm den Posten des Chefredakteurs antragen würde, erschien ihm darum nicht ganz ausgeschlossen. An manchen Tagen sogar ziemlich wahrscheinlich. Seine »Abwarterei«, wie Sarah es verächtlich nannte, die es als typische Sucherin nicht nachvollziehen konnte, dass er in aller Gemütsruhe darauf wartete, zu Höherem berufen zu werden, löste dann auch ihren Trennungswunsch aus. Nach vier Jahren zuerst glücklicher, dann zunehmend nebeneinanderher plätschernder Beziehung, hatte sie entschieden, dass er seine Sachen packen und den Wohnungsschlüssel abgeben sollte. Mit vier Kisten und seinem Hund Mina hatte er plötzlich auf der Straße gestanden. Nicht mal die obligatorische Stereoanlage hatte er ausstöpseln und mitnehmen können, denn auch die hatte Sarah gekauft. So wie die CD-Sammlung, die Möbel und den großen Kühlschrank. Er hatte kurz überlegt, ob er die leeren Weinflaschen einpacken sollte, denn zumindest guten australischen Rotwein hatte er regelmäßig mitgebracht, und damit gehörten die Flaschen rechtlich gesehen ihm. Aber er hatte das Gefühl, dass das lächerlich wirken könnte. Außerdem sollte Sarah sich ruhig an ihn erinnern, wenn sie die Flaschen zum Altglascontainer bringen musste. Vielleicht würde sie ihre Entscheidung kurzzeitig bedauern. Aber dann war es zu spät. Jedes Klirren der zerberstenden Flaschen im Container würde ein hörbares Zeichen für ihre zerbrochene Beziehung sein. Mattes und Sarah gab es nicht mehr.
    Aber jetzt ging es nicht mehr um Sarah, jetzt musste er eine Entscheidung über sein Leben treffen. Seit seiner Schulzeit wollte er Journalist werden und schnell zum Chefredakteur der ZEIT aufsteigen. Das machte was her. Als Chef würde er eine Art Oberaufsicht über die anderen Redakteure haben, könnte Arbeit delegieren und müsste nicht selber um jede Zeile, die er geschrieben hatte, kämpfen, damit sie veröffentlicht würde. Er wusste intuitiv und schon sehr früh, dass das der richtige Posten für ihn wäre. Inzwischen wäre es ihm schon recht gewesen, bei der ZEIT nur Ressortleiter zu sein. Oder Redakteur fürs Vermischte. Oder hin und wieder Schreiber einer Kolumne. Hauptsache irgendetwas, das seinem Ziel ansatzweise nahe kam. Immerhin war er Abonnent, obwohl er zugeben musste, dass das wirklich die unterste Stufe einer Zusammenarbeit war. Journalistisch hing er als freiberuflicher Mitarbeiter bei einem Stadtteilmagazin fest. Mit immer den gleichen Artikeln, die ihn weder intellektuell forderten, noch in irgendeiner Weise bedeutsam waren.
    Ein einziges Mal hatte er einen aufdeckenden Artikel über die Schlamperei und kriminellen Machenschaften beim Einkauf der Desinfektionsmittel im örtlichen Schwimmbad geschrieben, wurde nach der ersten Empörungswelle in der Leserschaft aber sofort von seinem Chef gestoppt, der über undurchsichtige Ecken mit dem verantwortlichen Sportdezernenten verwandt war. Oder war er mit ihm in der gleichen Grundschulklasse gewesen? Egal. Der Bademeister bekam eine Abmahnung, und Mattes traute sich seitdem nicht mehr ins Schwimmbad, weil er sich sicher war, dass er bei einem unerwarteten Zwischenfall im Wasser nicht gerettet werden würde, ja, dass die Wahrscheinlichkeit eines plötzlichen Badeunfalls in seinem Fall sogar sehr gestiegen war. Die Blicke des Bademeisters, wenn er ihn zufällig auf der Straße traf, ließen ihn annehmen, dass Schwimmen für ihn zu einer Risikosportart geworden war. Er traute sich auch in kein anderes Schwimmbad der Umgebung, weil er nicht wusste, wie weit die Kontakte des örtlichen Bademeisters
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