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Wer nie die Wahrheit sagt

Wer nie die Wahrheit sagt

Titel: Wer nie die Wahrheit sagt
Autoren: Catherine Coulter
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verdammt. Wo würde Tammy Tuttle Lily hinbringen?«
    Es war fast vier Uhr morgens, und immer noch schneite es leicht. Keiner sagte ein Wort. Savich, der in seinem Lieblingssessel saß, lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen. Er spürte, wie Sherlock sich an ihn lehnte.
    Dann sagte sie leise: »Ich glaube, ich weiß, wo sie Lily hingebracht haben könnte.«

29
    Lily war noch kälter als auf dieser nackten Matratze in Göteborg. Ihre Hand- und Fußgelenke waren nicht allzu fest mit einer Art Klebeband gefesselt. Sie lag auf der Seite in einem dunklen Raum, und es roch komisch. Kein unangenehmer Geruch, aber sie konnte ihn nicht gleich einordnen.
    Es ging ihr so weit gut. Sie spürte zwar ein dumpfes Pochen an der Seite ihres Kopfes, aber es war nicht allzu schlimm; nur die Seite tat ihr weh, aber das brachte sie auch nicht um. Nein, es war dieses verrückte Weib, das sie hierher verschleppt hatte und sie umbringen würde.
    Hörte sie da ein Lachen? Sie war sich nicht sicher.
    Tapfer biss sie die Zähne zusammen und versuchte an ihren Fesseln zu arbeiten. Sie konnte die Hände ein wenig bewegen, das Klebeband war nicht allzu fest. Also zog sie und zerrte, versuchte das Klebeband zu lockern.
    Wo war sie? Wo hatte Tammy Tuttle sie hingebracht? Sie wusste, dass Tammy vollkommen verrückt und dazu äußerst intelligent war, da es ihr bis jetzt gelungen war, Lilys Bruder zu entgehen. Diese Verrückte hatte Lily entführt, weil sie Dillons Schwester war. Sie hielt das für eine bessere Rache an Dillon, als ihn einfach zu töten.
    Lily wusste, dass sie damit richtig lag. Dillon machte sich inzwischen wahrscheinlich verrückt vor lauter Schuldgefühlen. Sie zerrte weiter an ihren Fesseln.
    Was war das bloß für ein Geruch? Auf einmal wusste sie es. Sie befand sich in einer Art Scheune. Es roch nach altem Heu, Leinsamenöl, ja genau, und ganz schwach nach altem, getrocknetem Dung.
    Irgendwo in einer Scheune. Ihr fiel ein, dass Simon Dillon gefragt hatte, wo er den Tuttle-Geschwistern zum ersten Mal begegnet war, und er hatte geantwortet, in einer Scheune auf Marilyn Warluskis Grundstück, unweit des Plum River in Maryland.
    Vielleicht war das ja diese Scheune. Zumindest kannten Dillon und Sherlock dann diesen Ort. War diese Marilyn Warluski auch hier? Lebte sie noch?
    Schwaches graues Tageslicht sickerte durch die verdreckte Glasscheibe hinter ihr herein. Der Morgen graute. Bald würde es Tag sein.
    Beharrlich arbeitete sie weiter an dem Klebeband. Sie wollte gar nicht daran denken, wie sie jahrelang Klebeband benutzt und es nie hatte zerreißen können. Aber es war lockerer als zuvor, da war sie sicher.
    Lily musste dringend aufs Klo. Und sie hatte Hunger. Ihre Seite und ihre Schulter pochten dumpf. Bloß Oberflächenschmerz, hatte dieser blöde Arzt in Schweden gesagt. Sie wünschte jetzt, sie hätte ihm doch eine reingehauen, damit er selbst mal ein bisschen oberflächlichen Schmerz spürte, dieser Trottel.
    Es wurde allmählich heller, ein schwaches, graues Licht, und sie konnte nun erkennen, dass sie sich in einem kleinen Geräteraum befand. An der gegenüberliegenden Wand stand ein verwitterter alter Schreibtisch, daneben zwei altersschwache Stühle. An einem Nagel an der Bretterwand hing ein zerrissenes Zaumzeug mit nur noch einem Zügel.
    Es war schweinekalt. Sie konnte nicht aufhören zu schlottern. Jetzt, wo sie um sich herum all die Ritzen in den Bretterwänden sah, durch die man nach draußen sehen konnte, wurde ihr noch kälter. Sie hatte ja nur ihr Nachthemd an. Immerhin war es ein langärmeliges Flanellnachthemd, das ihr bis zu den Knöcheln reichte.
    Aber es genügte nicht.
    Sie wandte den Kopf, als sie hörte, wie die Tür langsam aufging.
    Eine Frau stand dort in dem trüben Licht. »Hallo, Schwesterchen. Na, wie läuft’s mit dem Klebeband? Schon ein bisschen gelockert?«
    Und Lily sagte: »Ich bin nicht Ihr Schwesterchen.«
    »Nein, du bist Savichs Schwesterchen, und das ist mehr als genug. Einfach klasse.« Tammy betrat den kleinen Raum, schnüffelte, runzelte kurz die Stirn, zog sich dann einen von den alten Stühlen heran und setzte sich. Sie schlug die Beine übereinander. An den Füßen trug sie klobige schwarze Schnürstiefel mit hohen Blockabsätzen.
    »Mir ist furchtbar kalt«, sagte Lily.
    »Ja, dachte ich mir schon.«
    »Außerdem muss ich mal pinkeln.«
    »Okay, dass dir kalt ist, ist mir egal, aber du sollst nicht hier liegen und dich anpinkeln. Ich finde das widerlich. Also werde ich
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