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Wer nie die Wahrheit sagt

Wer nie die Wahrheit sagt

Titel: Wer nie die Wahrheit sagt
Autoren: Catherine Coulter
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schießen. Sie trat zu Lily und starrte reglos auf sie hinunter, die Pistole auf ihre Brust gerichtet. Lily blickte schreckerstarrt zu ihr auf, konnte sich vor Angst nicht rühren, ja kaum atmen.
    Schließlich sagte Lily: »Sie haben ein Problem, nicht, Tammy? Die Ghule kommen nicht, wenn ich nicht wie am Marterpfahl in diesem Kreis stehe, stimmt’s? Also finden Sie sich damit ab. Ich rühre mich nicht vom Fleck.«
    Tammy sagte kein Wort dazu, wandte sich einfach um und schritt davon. In ihren klobigen Stiefeln wirkten ihre Schritte lang und kräftig. Lily sah, wie sie in dem Geräteraum verschwand und die Tür hinter sich zuschlug.
    Es war so still, dass Lily die Scheune im zunehmenden Wind ächzen hörte. Dann hörte Lily einen Schrei, den Schrei einer Frau, Tammys Schrei, und dann zwei Schüsse, laut und grell.
    Dillon kam aus dem Geräteraum auf sie zugerannt, seine SIG Sauer in der Hand und rief: »Lily! O mein Gott, ist alles in Ordnung mit dir, Liebes? Es ist alles gut. Ich bin heimlich in den Geräteraum eingedrungen und hab sie erschossen, bevor sie mich sah. O Gott, bist du verwundet?«
    Die Erleichterung war so überwältigend, dass sie beinahe daran erstickte. Sie schrie: »Dillon, du bist gekommen! Ich hab sie zum Reden gebracht, ich wusste, ich musste sie reden lassen. O Gott, es war so schrecklich, ich hatte solche Angst. Und dann hat sie zu schießen angefangen, und ich dachte, jetzt ist alles aus …«
    Lily verstummte, war wie erstarrt. Dillon war jetzt fast bei ihr, keine zwei Meter mehr von ihr entfernt, als Lily plötzlich nicht mehr ihren Bruder sah. Sie sah Tammy. Sie hielt nicht Dillons SIG Sauer; sie hielt noch immer diese kleine hässliche Pistole in der Hand. Ihr Gehirn war auf einmal wie festgefroren. Wie zu Eis erstarrt. Sie konnte nicht glauben, was sie sah, was sie da vor sich hatte, sie konnte es nicht fassen. O mein Gott.
    »Schätzchen, ist alles in Ordnung mit dir?«
    Es war Tammys Stimme, nicht mehr Dillons.
    Da merkte Lily, dass es wirklich Tammy war. Sie hatte geglaubt, Dillon zu sehen, weil sie es sich so sehr gewünscht hatte und weil Tammy es auch wollte. Und Tammy dachte, es funktionierte.
    O Gott, o Gott.
    Lily sagte: »Es geht mir gut. Ich bin so froh, dass du da bist, Dillon, so froh.«
    Tammy fiel vor Lily auf die Knie und drehte sie zur Seite. »Komm, ich mache dir das Klebeband ab, Liebes. Gleich haben wir’s, schau, ich schneide das hier nur rasch mit dem Messer durch. Gut, du hast es schon ein bisschen gelockert. Fast wärst du freigekommen und hättest fliehen können, nicht?« Dann zog Tammy Tuttle Lily an sich und umarmte sie, gab ihr einen Kuss aufs Haar. Mit ihrer einen Hand strich sie ihr über den Rücken. Lily spürte, wie Tammys kleine Brüste sich an die ihren pressten.
    Tammy hatte ihre Pistole auf den Boden gelegt, bloß eine Handbreit entfernt, keine zehn Zentimeter. »Halt mich, Dillon. O Gott, ich hatte solche Angst. Ich bin so froh, dass du so schnell gekommen bist.«
    Sie weinte, schluchzte ihr ganzes Elend heraus, spürte, wie Tammy sie an sich drückte und abermals ihr Haar küsste. Lilys Hand bewegte sich dabei langsam auf die Pistole zu, bis ihre Finger den Griff berührten.
    Tammy nahm die Pistole blitzschnell an sich, schob sie in ihren Hosenbund und sagte: »Komm, ich helfe dir, Kleines. Ja, so ist’s gut. Jetzt ist alles gut. Sherlock ist draußen bei den anderen Agenten. Komm, gehen wir raus zu ihnen.«
    Tammy hielt sie jetzt fest an ihre Seite gepresst, ging mit ihr aufs Scheunentor zu. Nein, doch nicht zum Tor. Sie schwenkte plötzlich nach links, auf den schwarzen Kreis zu.
    Gerade als Tammy sie rücklings in den Kreis schleuderte, riss Lily ihr die Pistole aus dem Hosenbund und zielte damit auf sie.
    Tammy schien gar nicht zu merken, dass Lily ihre Pistole hatte, dass sie damit auf sie zielte. Sie drehte sich zum Scheunentor um, warf den Kopf in den Nacken und schrie: »Ihr Ghule! Diesmal gibt es kein junges Blut für euch, aber einen süßen, zarten Leckerbissen, eine junge Frau. Los, bringt eure Äxte und Messer mit und hackt sie in Stücke! Kommt her, ihr Ghule!«
    Die Flügel des Scheunentors flogen nach innen auf. Lily sah Schneeflocken hereinwirbeln und noch etwas anderes. Eine Staubwolke vielleicht. Hatte Dillon nicht auch so etwas gesehen?
    Der Schnee schien zu zwei deutlich voneinander unterscheidbaren Kegeln zusammenzufließen, wie zwei kleine Tornados, die herumwirbelten, auf und nieder zuckten und auf sie zukamen. Aber sie
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