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Wer nie die Wahrheit sagt

Wer nie die Wahrheit sagt

Titel: Wer nie die Wahrheit sagt
Autoren: Catherine Coulter
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Kaffee; sie selbst hatte ihnen gegen zweiundzwanzig Uhr eine Riesenthermoskanne rausgebracht.
    Es herrschte eine ungewohnte Stille im Haus. Richtig, es war viel zu still. Da fiel ihr auf, dass die Alarmanlage ausgeschaltet war, dass das leise, kaum hörbare Summen fehlte. Panik schoss in ihr hoch.
    Sherlock wandte sich um und blickte zu der mit herrlichen Schnitzereien verzierten Eichentreppe. Von unten drang trübes Licht herauf, das durch das halbrunde Fenster über der Eingangstür hereinfiel. Schneeflocken schwebten träge vom Himmel. Sie machte einen Schritt, dann noch einen, dann stieß ihr auf einmal jemand heftig mit der flachen Hand gegen den Rücken. Sie schrie auf, glaubte zumindest, dass sie das tat, und fiel kopfüber die Treppe hinunter. Jemand lief an ihr vorbei, als sie mit dem Gesicht nach unten auf dem Perserteppich lag und nach Luft rang. Sie war kaum noch bei Bewusstsein, denn sie hatte sich den Kopf angeschlagen, hatte sich überall angeschlagen und konnte sich kaum mehr rühren.
    Sie glaubte, ein Stöhnen zu hören, dann war die Gestalt verschwunden. Sherlock starrte auf die Haustür, als diese sich öffnete. Ja, sie war sicher, dass sie jetzt offen stand, sperrangelweit offen, denn kalte Luft strich ihr übers Gesicht, und sie erschauerte.
    Die Haustür blieb offen stehen. Es dauerte nur einen Augenblick, bis ihr klar wurde, was passiert war. Jemand hatte sie die Treppe runtergestoßen. Jemand war gerade durch die Vordertür verschwunden.
    Es gelang ihr schwankend, auf die Beine zu kommen. Angst schnürte ihr die Kehle zu. Tammy Tuttle, sie musste es gewesen sein, aber wie? Wie war sie an den Agenten vorbei und ins Haus gekommen? Wieso hatte Sherlock sie nicht gesehen?
    Sie warf den Kopf zurück und schrie: »Dillon! O Gott, Dillon, komm schnell!«
    Savich und Simon tauchten gleichzeitig am Kopf der Treppe auf. Ein Licht ging an.
    »Sherlock!«
    Savich war sofort bei ihr, drückte sie an sich und legte sie dann behutsam auf den Boden, weil er Angst hatte, ihr wehzutun.
    Sherlock fuhr hoch und packte ihn bei den Armen. »Nein, nein, Dillon, ich bin okay. Tammy – sie war hier; sie hat mich die Treppe runtergestoßen. Die Alarmanlage war aus, und ich wollte gerade runtergehen, um nachzusehen. Ich habe eine Frau stöhnen gehört. Ich war’s nicht. Wo ist Lily? Lieber Gott, schaut nach Lily!«
    Simon lief, zwei, drei Stufen auf einmal nehmend, hinauf. Sie hörten ihn brüllen: »Sie ist weg!«
    Dillon griff nach seinem Handy und rief die vorm Haus postierten Agenten an.
    Simon machte alle Lichter an, während Dillon mit den Agenten sprach. Die Haustür stand offen, und Lily war spurlos verschwunden. Irgendwie war es Tammy gelungen, sie zu entführen, ohne dass Sherlock irgendetwas gesehen hatte.
    Savich stand in Boxershorts auf der Türschwelle seines Hauses und starrte angestrengt in die weißen Flocken, die wie ein dünner Vorhang die jenseits liegende Dunkelheit abschirmten.
     
    Jimmy Maitland fragte, während er Kaffee schlürfte, der so herrlich heiß war, dass er sich fast die Zunge verbrannte:
    »Was haben die Profiler zu sagen?«
    Savich meinte: »Jane Bitt kann nur Vermutungen anstellen, das gibt sie offen zu, aber soweit sie wisse, sei ein Fall wie Tammy Tuttle noch nie vorgekommen. Vielleicht hat sie dieses Talent, den Leuten alles vormachen zu können, was sie will, ja geerbt. Erstaunlich ist nur das Ausmaß ihrer Fähigkeit. Sie hat alle im Flughafen von Antigua glauben gemacht, sie wäre ein Mann, und genau das macht sie so einmalig. Jane sagt, aber selbst dann sollten wir uns nicht ausschließlich darauf konzentrieren – wir wissen einfach nicht, wie weit ihre Fähigkeiten reichen. Auf diese Weise kriegen wir sie nie. Wir sollten uns auf eine Frau mit nur einem Arm konzentrieren, die dreiundzwanzig Jahre alt ist. Was würde sie tun? Wenn wir das voraussagen können, ist sie verwundbar.«
    »Aber wir wissen nicht, was sie tun und wo sie Lily hinbringen würde«, warf Sherlock ein.
    »Sie sollte es doch auf mich abgesehen haben, nicht auf Lily – um mir den verhassten Kopf abzuschneiden«, sagte Savich langsam und starrte seine Hände an, die fest um Sherlocks Taille gelegt waren.
    Simon sprang auf und lief unruhig vor den beiden auf und ab. Er trug nur eine zerknitterte schwarze Wollhose, sonst nichts, nicht mal Socken.
    »Pass auf, Savich, sie hat sich Lily geholt, weil sie denkt, sich so besser an dir rächen zu können, als wenn sie dich einfach tötet. Jetzt überleg mal,
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