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Wer nie die Wahrheit sagt

Wer nie die Wahrheit sagt

Titel: Wer nie die Wahrheit sagt
Autoren: Catherine Coulter
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schlief. Er war von Natur aus geduldig, und das war gut so, denn er kannte Lily ja erst seit zwei Wochen.
    Was Lily anging, so wusste diese nicht, warum sie nicht schlafen konnte. Es war schon nach Mitternacht in Washington, Vormittag in Schweden. Aber sie und Simon waren so kurz in Schweden gewesen, dass ihre innere Uhr ganz durcheinander geraten war. Sie war so erschöpft, dass sie nicht einschlafen konnte.
    Sie machte sich immer noch Sorgen um ihren Bruder. Tammy Tuttle war nicht aufgetaucht, hatte nicht versucht, sich an Dillon ranzumachen, und nicht nur ihr Bruder, auch Sherlock waren frustriert, nervös und mit ihrem Latein am Ende.
    Am Freitagnachmittag hatte Dillon, wie angekündigt, ein Taxi zum Flughafen genommen und sich für einen Flug nach Texas eingecheckt. Dann war er in letzter Minute wieder ausgestiegen und heimlich in sein Haus in Georgetown zurückgekehrt.
    Und jetzt war schon Samstagabend. Lily wusste, dass mehrere Agenten das Haus nach wie vor beobachteten. Jimmy Maitland wollte kein Risiko eingehen, und das recht ausgeklügelte Alarmsystem war eingeschaltet.
    Lily hoffte, dass Dillon und Sherlock besser schliefen als sie. Sie wusste, dass sie Sean vermissten. Als sie alle zum Schlafengehen raufgingen, hatten die beiden automatisch zu Sean ins Zimmer schauen wollen.
    Sie rollte sich auf die Seite und hielt unwillkürlich die Luft an, da ein scharfer Schmerz sie durchzuckte. Nein, keine Schmerztabletten mehr. Sie machte die Augen zu und sah abermals diesen riesigen Raum vor sich, dessen Wände vom Boden bis zur Decke mit den Bildern ihrer Großmutter behangen waren. So viele, die nun an die Museen der Welt zurückgegeben werden würden. Olaf Jorgenson und sein Sohn konnten das nicht mehr verhindern. Ian würde lange Zeit im Gefängnis sitzen, und Olaf lag, in äußerst kritischem Zustand, in einem Krankenhaus.
    Endlich driftete sie in den Schlaf ab, doch plötzlich glaubte sie eine Gefahr zu spüren und riss die Augen auf. Sie hatte etwas gehört. Nicht Simon oder Dillon, die noch herumgeisterten, es war etwas anderes gewesen, etwas, das irgendwie nicht passte.
    Vielleicht war es ja nichts, bloß ein geisterhaftes Flüstern aus ihrem erschöpften Gehirn oder ein Windstoß, der einen Zweig ans Fenster hatte klopfen lassen. Ja, das Geräusch kam von draußen, nicht aus ihrem Zimmer. Vielleicht aus Simons Zimmer? War er wach?
    Lily wartete, starrte mit brennenden Augen ins Dunkle und lauschte.
    Sie wollte sich gerade wieder entspannen, als sie ein Knarren hörte. Schon ein leichter Druck ließ die Eichendielen knarren, aber sie hatte ihn gehört, und zwar ganz nahe. Etwas lag in der Luft, sie hörte es nicht länger, fühlte es aber. Lily lauschte angestrengt. Das Herz klopfte ihr jetzt bis zum Hals.
    Die dicken Teppiche, die überall im Zimmer lagen, dämpften jedes Geräusch, machten es ihr schwer, jemanden, der sich ihrem Bett näherte, zu hören.
    Lily fuhr kerzengerade hoch und starrte in die Dunkelheit. Zu spät sah sie einen Schatten, der blitzschnell auf sie zukam. Ein heftiger Schmerz durchzuckte ihren Schädel, als hätte ihr jemand ein Messer hineingestoßen.
    Sie fiel zurück aufs Kissen. Bevor sie ohnmächtig wurde, sah sie noch ein Gesicht über sich, das Gesicht einer Frau, und dieses Gesicht kannte sie. Der Mund flüsterte: »Hallo, Schwesterchen.«
     
    Sherlock konnte nicht schlafen. Dillons Arm lag schwer über ihrer Brust, und er lag warm und dicht neben ihr; sie atmete seinen vertrauten Duft ein, aber es half nichts. Ihr Gehirn wollte nicht abschalten, es lief weiter und weiter. Immer wieder ging sie durch, was sie alles über Tammy wussten und was sie nur vermuteten.
    Als sie es nicht mehr aushielt, befreite sie sich vorsichtig von Savich, stieg aus dem Bett und streifte ihren alten blauen Morgenmantel über. Sie zog Socken an, um ihre Füße auf dem kalten Eichenfußboden warm zu halten.
    Sie musste einfach noch mal durch das Haus schauen, obwohl sie es bereits dreimal getan hatte und Dillon wahrscheinlich noch dreimal; sie musste sichergehen. Es war Sonntag, ganz früh am Morgen, es schneite, und Sean war sicher bei seiner Großmutter untergebracht. Wann würde sie sich sicher genug fühlen, um ihn wieder mit nach Hause zu bringen? Würde sie sich je sicher genug fühlen? Das musste aufhören. Tammy musste etwas unternehmen; das musste irgendwann enden.
    Man konnte nur hoffen, dass die vier Agenten draußen sich nicht das Hinterteil abfroren. Immerhin hatten sie heißen
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