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In grellem Licht

In grellem Licht

Titel: In grellem Licht
Autoren: Nancy Kress
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1
    SHANA WALDERS
     
    Als sie uns endlich per Lkw zum Sammelplatz – in diesem Fall
der Parkplatz vor irgendeiner alten Kirche – karren, brennt der
Zug schon seit zwei Tagen. Es ist einer dieser neuen koreanischen
Maglevs, die angeblich nie entgleisen, egal, was passiert, aber da
steht er in dem Vorort von Washington, D.C. und brennt wie der
Teufel. Hat irgendwelche Brennstoffbehälter geladen. Irgendwer
behauptet, der könnte auch eine Woche fröhlich so
weiterbrennen, wenn den Klugscheißern da oben nicht bald was
dazu einfällt. Was bisher nicht geschehen ist, denke ich, denn
die ganze Umgebung ist bereits evakuiert und mit Leuchtmarkern
abgesperrt, und wir springen schon sechshundert Meter vor dem Zug vom
Lkw. Andere Lkws bringen Zivis, von denen ein paar weinen, zum
Sammelplatz.
    »Sie betreten soeben ein Gebiet, das von der Armee der
Vereinigten Staaten elektronisch abgesperrt wurde«, sagt der Lkw
immer wieder. »Nicht autorisierte Personen müssen das
Gebiet sofort verlassen. Sie betreten soeben ein Gebiet, das von der
Armee…« Mein ZD-Sergeant langt ins Fahrerhaus und schaltet
aus. Sie geht, um unser Eintreffen einem Sergeant der regulären
Armee zu melden, also latsche ich rüber zu einem Soldaten und
sage: »Frage. Was liegt an?«
    Er bedenkt mich mit diesem Blick, den die alle für uns haben,
diesem Wer-hat-dich-denn-in-’ne-Uniform-gesteckt-und-außerdem-gehörst-du-nicht-zur-richtigen-Armee-du-Arschloch- Blick . Aber ich ignoriere ihn und wiederhole: »Was liegt an?«
Und diesmal lächle ich dazu – ein vielversprechendes
Lächeln, dem er nicht widerstehen kann. Keiner kann das. Ich bin
ein Prachtstück.
    »Wir bringen die Evakuierten wieder rein. Paarweise. Wegen
ihrer Haustiere.«
    »Wegen ihrer Haustiere?«
    »Jaaa, Schätzchen! Die Armee ist eben ein
mitfühlender Verein!« Er lacht, aber ich sehe den Witz
nicht. Sie haben eine Menge solcher Scherze auf Lager, die
Regulären, damit wir vom ZD kapieren, daß wir
Außenseiter sind und bleiben. Ist mir auch egal. Es geht
los.
    »Da schießt das Adrenalin hoch, wie?« sagt der
Soldat. »Sind die kleinen Tittchen schon aufgerichtet?« So
dürften sie mit uns eigentlich nicht reden – mit so
zartbesaiteten jungen Menschen wie uns, die nur ihr Jahr Zivildienst
leisten, das sie dem Vaterland schuldig sind –, aber das ist mir
auch egal. Mit Soldaten kann ich umgehen. Und meine Tittchen sind
alles andere als klein.
    Ich lache, und der Soldat rückt näher an mich ran. Seine
Augen glänzen. Er ist noch nicht besonders alt und sieht sogar
passabel aus, aber ich bin nicht in der Stimmung. Es geht los!
    »Shana!« ruft mein Sergeant. »Hier rüber! Sie
und Joe geben die Schutzanzüge aus und helfen den Zivilisten
beim Anziehen. Dann schicken Sie sie jeweils zu zweit los.«
    »Frage. Sie wollen mich doch nicht hier draußen lassen, oder?« erkundige ich mich.
    Der Sergeant seufzt. Man faßt uns vom ZD immerzu mit
Samthandschuhen an, ganz anders als es drüben in der echten
Armee zugeht. Schließlich sind wir Jungen doch ein kostbares
Gut. Gibt ja auch jedes Jahr weniger von uns, bei dieser
Fruchtbarkeitskrise, die wir haben. Soll mir auch recht sein. Aber
jetzt lächle ich meinern Sergeant zu. Mit dem gewissen
Lächeln.
    »Ach, was soll’s, Sie können reingehen«, sagt
sie. »Aber zuerst helfen Sie ein paar von diesen Leuten in die
Anzüge. Legen Sie los.«
    Ich lege los, schreie Joe zu, mir zwei Zivis rüberzubringen,
und ziehe zwei Schutzanzüge aus dem Laderaum des
Versorgungslasters. Die beiden Zivilisten sind natürlich alt,
aber noch keine wirklich morschen Muffis, wahrscheinlich nicht
älter als fünfzig. Sie hüpfen ohne Schwierigkeiten in
die Anzüge, aber die Frau will den Helm nicht aufsetzen. Gibt
eine Menge Leute, die was dagegen haben, sich den Kopf verglasen zu
lassen. Sogar unter den Zivildienstlern. Also steht sie da,
während ihr der Wind die grauen Haare – weiß Gott,
warum sie sie nicht färbt, ich würde es sicher tun! –
in die roten, verschwollenen Augen bläst.
    »Es ist wegen meiner Katze«, sagt sie, als wollte sie
sich bei mir entschuldigen. »Mimi. Das ist die Kurzform für
Mieze-Miez. Peinlich, nicht?« Sie lächelt mir zu, fast
bittend. Warum? Ihre Katze ist mir Hundescheiße.
    »Bitte setzen Sie den Helm auf, Madam«, sage ich. Macht
mir mächtig Spaß, so zu klingen, als hätte ich das
Sagen hier, auch wenn’s nicht stimmt.
    »Als ich aus dem Haus ging, um einzukaufen, da hatte Mimi nur
ein bißchen Wasser in ihrer
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