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Mord an der Mauer

Mord an der Mauer

Titel: Mord an der Mauer
Autoren: L Keil
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Geleitwort
von Klaus Wowereit
    Die Berliner Mauer war Schauplatz dramatischer Szenen. Aber kaum eine hat die Öffentlichkeit so bewegt wie das langsame Sterben des 18-jährigen Maurergesellen Peter Fechter am 17. August 1962 im Todesstreifen. Es geschah mitten in Berlin und vor aller Augen.
    Der Tod von Peter Fechter war ein Fanal für die Solidarität und das Zusammengehörigkeitsgefühl der Berlinerinnen und Berliner. Sein »öffentliches Sterben« durch die von DDR-Grenzern abgegebenen Schüsse bedeutete eine schier unerträgliche Provokation nicht nur für die zahlreichen Augenzeugen, sondern auch für die politisch Verantwortlichen auf Seiten des Senats von Berlin wie der US-Schutzmacht.
    Wut und Empörung der Menschen in West-Berlin richteten sich gegen ein Unrechtsregime, dem jedes Mittel recht war, um seiner Bevölkerung elementarste Freiheitsrechte zu verweigern. Wie schon beim Bau der Mauer fühlten sich die Menschen hilflos. Seit dem 13. August 1961 waren die Einflusssphären der beiden Blöcke festgezurrt, und keine Seite wagte, die labile politische Balance zu gefährden.
    Der Fall fand im Westen ein enormes öffentliches Echo. Die Zeitungen druckten Bilder des Sterbenden und berichteten ausführlich über den Vorfall. Das Foto von Wolfgang Bera mit den vier DDR-Polizisten, die den leblosen Peter Fechter wegtragen, ging um die Welt und hat sich tief in die kollektive Erinnerung eingegraben. Das amerikanische Time Magazine prägte in seiner Ausgabe vom 31. August 1962 einen Begriff, der fortan zum Synonym für die Berliner Mauer wurde: »Wall of Shame«.
    Nichts zeigt den Charakter dieses schändlichen Bauwerks deutlicher, als die Ereignisse des 17. August 1962. Alljährlich am 13. August erinnert das Land Berlin mit einer Kranzniederlegung am Mahnmal für Peter Fechter an dessen Fluchtversuch und Tod. Die Gedenkstätte Berliner Mauer in der Bernauer Straße dokumentiert ausführlich den Fall Peter Fechter und setzt ihn in einen engen Bezug zur Geschichte der Berliner Mauer, zum Grenzregime und zur SED-Diktatur insgesamt.
    Peter Fechters Tod berührt die Menschen bis heute. Und mahnt uns sowie kommende Generationen, dass in Deutschland nie wieder Diktatur und Unterdrückung herrschen dürfen. Zugleich denken wir mit Dankbarkeit an die Frauen und Männer der DDR-Opposition, die erfolgreich für die friedliche Revolution gekämpft haben, durch die der SED-Staat letztlich untergegangen ist und die Vereinigung möglich wurde.
    Klaus Wowereit
Regierender Bürgermeister von Berlin



Leben mit der Mauer
    S chlagartig steht das Leben still in Berlin. Genau um zwölf Uhr beginnt am Montag, dem 13. August 1962, eine dreiminütige obligatorische Verkehrs- und Arbeitsruhe. Genauer: im amerikanischen, britischen und französischen Sektor der geteilten Stadt. Der Senat hat einige Tage zuvor beschlossen, dass alle Autos, Busse und Lastwagen anhalten sollen, wenn die Glocken der Kirchtürme zu läuten beginnen. Auch Busse und U-Bahnen bleiben stehen, der Fahrplan der staatlichen Berliner Verkehrsbetriebe ist unterbrochen. Privaten Unternehmen kann die Stadtregierung zwar keine Vorschriften machen, doch sträubt sich keine einzige Firma gegen die kurze Unterbrechung der Arbeit vor der Mittagspause.
    Wo es keine Kirchen gibt, die das Signal geben könnten, hat die West-Berliner Polizei Lautsprecherwagen auffahren lassen, die das Geläut der Freiheitsglocke vom Schöneberger Rathaus übertragen. Sie erinnert daran, dass 17 Millionen Deutschen ein zentrales Menschenrecht vorenthalten wird: ihr Leben selbstbestimmt und in Freiheit gestalten zu können. Genau 365 Tage nach der Sperrung der innerstädtischen Grenze protestiert West-Berlin damit gegen den Todesstreifen, der die Massenflucht von Ost nach West beendet und schon 26 Todesopfer gefordert hat. Die meisten von ihnen waren DDR-Bürger, die bei Fluchtversuchen erschossen worden, ertrunken oder abgestürzt sind. Aber auch drei West-Berliner Fluchthelfer haben seit dem 13. August 1961 an der Mauer das Leben verloren, außerdem drei DDR-Wachposten.

    An der bekanntesten Kreuzung der West-Berliner Innenstadt, Joachimstaler Straße/Ecke Kurfürstendamm, schaltet der Verkehrspolizist in seiner erhöhten Glaskanzel die Ampeln auf Gelb, als die Glocken der neuen Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche zu läuten beginnen. Nicht nur Fahrzeuge halten wie auf Befehl an, ebenso bleiben bummelnde Fußgänger stehen, Radfahrer steigen ab. In den Cafés auf dem Boulevard erheben
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