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Mord an der Mauer

Mord an der Mauer

Titel: Mord an der Mauer
Autoren: L Keil
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»Republikflucht« feststellen, werden die Sperranlagen umgehend überprüft, gegebenenfalls instand gesetzt, oft verstärkt. Also entschließen sich Fechter und Kulbeik, in der Nähe ihres Arbeitsplatzes nach einer Fluchtmöglichkeit zu suchen. In der Schützenstraße zwischen Markgrafen- und Charlottenstraße entdecken sie eine günstige Situation. Auf dem Hof des im Krieg größtenteils zerstörten Häuserblocks befindet sich eine Bautischlerei, in der Arbeiter ein und aus gehen. Unmittelbar südlich grenzt an das Hofgebäude die Ruine eines Geschäftshauses, dessen Eingang auf die Zimmerstraße hinausgeht, die auf ganzer Breite zum Todesstreifen gehört. Der Bürgersteig gegenüber ist schon Kreuzberg, also West-Berlin. Hier ist das Sperrgebiet nur gut zehn Meter breit. Fechter und Kulbeik fällt obendrein auf, dass die Unterstände der Grenztruppen sowohl in der Markgrafen- wie in der Schützenstraße nicht ganz vorn an der Fahrzeugsperre und dem Stacheldrahtzaun stehen, sondern einige Meter zurückversetzt sind. Das müsste die Sicht der Posten auf das Sperrgebiet doch verschlechtern. Nun fällen sie ihre Entscheidung. Hier wollen sie den Sprung in die Freiheit wagen.





Sterben an der Mauer
    D er Tag verspricht Spannung, zumindest was das Wetter für Berlin an diesem Freitag, dem 17. August 1962, betrifft. Ein kleines Zwischentief zieht von der Ostsee her auf die geteilte Stadt zu, die hochsommerliche Hitze der vergangenen Tage weicht einer drückenden Schwüle. Der Himmel ist bewölkt, für den Abend werden Schauer erwartet. An der Mauer sieht alles nach Normalität aus. Als um 04:51 Uhr die Sonne aufgeht, haben die DDR-Grenztruppen routinemäßig schon die erste »Provokation« des Tages registriert. Um 01:18 Uhr haben »unbekannte Personen im Abschnitt V/3 (Puderstraße) unsere Grenzposten mit Steinen beworfen«, vermerkt der Tagesbericht: »Nach Einsatz von drei Nebelkerzen rot entfernen sich die Täter. Posten nicht verletzt.« Weitere Vorkommnisse aber bleiben vorerst aus: »Die offenen Angriffe auf unsere Grenzposten an der Staatsgrenze« treten in den ersten Stunden dieses Tages »nicht so massiert in Erscheinung wie an den Vortagen«, heißt es erleichtert im Rapport Nr. 229 des Ost-Berliner Präsidiums der Volkspolizei.
    Bald nach sechs Uhr früh machen sich Peter Fechter in Weißensee und Helmut Kulbeik in Friedrichshain auf den Weg in die Stadtmitte. Vor ihnen liegt ein anstrengender Arbeitstag – anderes haben sie daher nicht vor. Oder doch. Seiner Schwester Gisela Geue und deren Mann Klaus hat Peter Fechter versprochen, sie nach Feierabend in ihrem kürzlich erworbenen Kleingarten zu besuchen und mit ihnen den Bau einer Datsche aus Stein zu planen. Den Morgen über arbeiten Fechter und Kulbeik auf ihrer Baustelle. Dann schlagen ihnen zwei Kollegen aus ihrer Brigade vor, auf ein Bierchen mitzukommen in die Kneipe »Bullenwinkel« am Hausvogteiplatz. Bis zum innerstädtischen Sperrgebiet ist es von dort nicht weit. Gegen 11:45 Uhr ist die Pause vorbei, und die vier machen sich auf den Weg zurück zum Kaiser-Wilhelm-Palais. Für Fechter und Kulbeik eine ideale Gelegenheit: Jetzt können sie sich absetzen, ohne Aufsehen zu erregen. Sie rufen ihren Kollegen zu, sie würden noch schnell Zigaretten kaufen und dann nachkommen. Tatsächlich wenden sich Fechter und Kulbeik aber nach Süden, queren die Leipziger Straße, essen in einem Konsum-Laden noch eine Kleinigkeit und erreichen dann die Kreuzung Schützenstraße, die letzte frei zugängliche Parallelstraße zur gesperrten Zimmerstraße, wo bereits der Grenzstreifen verläuft.

    Kurz nach zwölf Uhr fallen dem Unteroffizier Rolf Friedrich zwei junge Männer in Arbeitskluft auf. Als Postenführer des Postens 4 der 1. Kompanie beobachtet er vom Kontrollpunkt an der Markgrafenstraße aus das Hinterland der innerstädtischen Grenze, während der ihm heute zugeteilte Posten, der Gefreite Erich Schreiber, das Sperrgebiet selbst im Blick behält. Beide halten ihre Kalaschnikows feuerbereit, denn wie alle Soldaten der IV. Grenzabteilung sind sie morgens »vergattert« worden. So heißt bei den Grenztruppen der Tagesbefehl, der den Posten vor jedem Grenzdienst mündlich erteilt wird und sie verpflichtet, »Grenzdurchbrüche nicht zuzulassen, Provokationen zu verhindern und die Anwendung der Schusswaffe grundsätzlich nach den geltenden Dienstvorschriften und gesetzlichen Grundlagen durchzuführen«. Friedrich kommen die beiden Bauarbeiter verdächtig
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