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Schneeköniginnen

Schneeköniginnen

Titel: Schneeköniginnen
Autoren: Susanne Mischke
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New York, New York
     
     
     
    Schon seit über einer Viertelstunde
stand sie sich vor dem Check-in-Schalter der Delta die Beine in den Bauch.
Nichts ging vorwärts. Offenbar gab es da vorn Probleme mit zwei älteren Damen. Anne
streckte sich, um mehr zu sehen. Natürlich. Es war exakt die Sorte, die immer
Probleme machte: Bläuliches Haar, fedrig wir Zuckerwatte, Kosmetikkoffer vom
Volumen kleiner Mülltonnen. Das konnte dauern. Seelenruhig hätte man da noch
etwas länger schlafen können. Sie gähnte verstohlen.
    »Verdammt nochmal«, hörte sie es
direkt vor sich auf englisch maulen, »verfluchte alte Schachteln!«
    Das entsprach auch Annes
tiefstinnerster Überzeugung, nur hätte sie es niemals so herausposaunt. Sie
musterte die Rückseite der Motzerin: Abgewetzte schwarze Lederjacke, filzige,
rotlockige Mähne. Ob die Farbe wohl echt war? Und die Locken? Das Mädchen trat
unruhig von einem Bein aufs andere. Dünne Beine, wie ein Stelzvogel, in
Leggings mit leuchtfarbenem Pfauenmuster. Sie mündeten in halbzerfetzte,
schmutzigweiße Sneakers.
    Endlich, es ging weiter. Der
Stelzvogel warf eine zerfledderte Sporttasche auf das Rollband und hielt der
geschminkten Uniformierten hinter dem Terminal ihr Ticket unter die Nase.
    »Raucher.« Die Angestellte musterte
die abgerissene Erscheinung einen kurzen Moment abfällig, fand dann aber ihr
der-Kunde-ist-König-Lächeln wieder und fing an zu tippen. Das Mädchen zappelte
derweil unruhig und sah sich um. Anne erstahl sich einen Blick auf ihr Gesicht.
Himmelfahrtsnase, heller Teint, winzige Sommersprossen, im ganzen einigermaßen
hübsch, vielleicht eine Spur gewöhnlich. Der Typ, der bei den Männern allgemein
gut ankam. Jetzt schnappte sie sich hastig ihre Boarding Card und verschwand
hinter einer kofferschiebenden Menschenansammlung.
    »Nichtraucher«, verlangte Anne.
»Gang.« Anne haßte es, über fremde Menschen klettern zu müssen, und noch mehr
haßte sie es, jemanden zu bitten, aufzustehen.
    Lächeln, Tippen, die Bordkarte.
    Froh, ihr Gepäck endlich los zu sein,
sah Anne auf ihre Uhr. Es blieb noch eine halbe Stunde, Zeit genug für den
Zeitschriftenstand und die Toilette. Auf dem Weg dorthin kam ihr ein
Getränkeautomat in die Quere, und sie zog ein Mineralwasser. Doch statt einer
handlichen Dose fiel ihr eine schwere, grüne Halbliterflasche in die Hände. Es
war diese ganz gesunde Sorte, mit allen nur denkbaren Mineralien und so viel
Eisen, daß man Probleme mit der Sicherheitskontrolle befürchten mußte. Überall
dieser Öko-Blödsinn, dachte Anne ärgerlich, jetzt kann ich mich mit diesem
Riesending abschleppen, es paßt nicht mal in die Handtasche.
    Sie stöckelte den schmalen Seitengang
hinunter, öffnete die Tür zur Damentoilette und stutzte. Zwischen den
Waschbecken stand ein Mann, Kreuz wie eine Schrankwand, dicke Lederjacke, darauf
prangte eine Art Geier, umrahmt von unleserlichen Runen, auf dem breiten Kopf
sprossen gelbliche Stoppelhaare. War das ein Neonazi oder ein Rocker? Falls es
letztere überhaupt noch gab, wer kannte sich mit derlei Pack schon aus. Doch im
Moment schien diese Frage ohnehin zweitrangig, denn mit seinem tätowierten
linken Unterarm quetschte der Typ gerade ein rothaariges Mädchen gegen die
Kacheln, was ihn nicht sonderlich anzustrengen schien. In der rechten Hand
hielt er ein gemeingefährlich aussehendes Messer. Vergrätzt über die Störung,
wandte er den Kopf in Annes Richtung und grunzte: »Verpiß dich, das is ‘ne
Privatsache.«
    Anne war es absolut nicht gewohnt, daß
in solcher Weise mit ihr gesprochen wurde. Zudem fing sie den Blick des
Mädchens auf. Ein lautloser Hilfeschrei aus weit aufgerissenen, taubengrauen
Augen. Lautlos wohl deshalb, weil ihr der Typ gerade die Gurgel zudrückte.
    Nun war der große Moment im Dasein der
Mineralwasserflasche gekommen. Schwungvoll landete sie auf dem gelben
Bürstenschnitt. Weder Flasche noch Schädel gaben merklich nach. Mit einem
dümmlich-ungläubigen Gesichtsausdruck drehte der Typ sich langsam um. Doch Anne
reagierte prompt. Diesmal beschrieb die Flasche eine eher waagerechte Flugbahn,
und dank Annes sorgfältig ausgebildeter Rückhand traf sie ihn punktgenau an der
rechten Schläfe. Er ließ das Mädchen augenblicklich los, verdrehte die Augen,
so daß sie aussahen wie geschälte Eier, und wankte auf Anne zu. Sie wich
zurück, brachte die Flasche erneut in Position, aber das war nicht mehr nötig.
Er röchelte, klirrend fiel das Springmesser zu Boden, dann erwartete
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