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Schneeköniginnen

Schneeköniginnen

Titel: Schneeköniginnen
Autoren: Susanne Mischke
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ihn der
mattweiße Fliesenboden, um ihn direkt zu Annes Füßen in ein schwarzes Loch
sinken zu lassen.
    »Sauber«, krächzte der leicht
zerzauste Stelzvogel voller Anerkennung und rieb sich dabei den Hals.
    Anne, die Flasche noch immer in der
Hand, starrte auf den schlaffen Männerkörper am Boden. Jetzt, als er
ausgestreckt dalag, wirkte er riesig wie ein Saurier.
    »Ist er... tot?« flüsterte sie atemlos
und stellte die Tatwaffe, die nun wieder ganz unschuldig aussah, mit zittriger
Hand auf das Waschbecken. Eine Dose hätte jetzt garantiert um einiges
schlechter ausgesehen, vermutlich nicht nur die Dose.
    Das Mädchen grinste mit grimmiger
Zufriedenheit, beugte sich über den Kerl, wobei sie ihn geschickt seiner
massivgoldenen Gliederkette entledigte, und kam zu dem Ergebnis: »Nein. Bloß
ein bißchen weggetreten. Schade.«
    »Gott sei Dank«, keuchte Anne. »Bist
du in Ordnung? Soll ich die Polizei verständigen?«
    Der Blick der Rothaarigen umwölkte
sich, als hätte man ein Tintenfaß in ein Aquarium entleert.
    »Spinnst du«, fauchte sie, »die
Bullen? Niemals! Stell dir bloß das Affentheater vor, wenn die erst mal hier
aufkreuzen. Mein Flug geht in ‘ner halben Stunde, und den werde ich wegen
diesem Arsch da nicht versäumen.« Schiere Panik flackerte in ihrem Blick,
beinahe mehr als vorhin, als sie wie ein Turnbeutel an der Wand gehangen hatte.
Der Arsch rührte sich keinen Millimeter.
    Anne überlegte. Der Einwand war
zweifellos nicht ganz von der Hand zu weisen. Die Polizei, das würde zahllose
Scherereien nach sich ziehen, am Ende würde sie, Anne Schwartz, noch wegen
Körperverletzung belangt werden. Ihre Phantasie schlug Saltos, Schreckensbilder
stiegen vor ihr auf: Sie sah sich bereits in ihrem neuen, lachsfarbenen
Chanelkostüm auf einer schmuddeligen Polizeiwache sitzen und verzweifelt nach
ihrem Anwalt telefonieren, umgeben von Prostituierten, Drogenhändlern,
Exhibitionisten, Lustmördern, Ladendieben und was sich im allgemeinen sonst
noch auf Polizeiwachen aufzuhalten pflegte, während ihr Gepäck über den
Atlantik entschwebte... die fette schwarze Schlagzeile der Abendzeitung knallte
ihr ins Gesicht:
     
    Blutiges Gemetzel am Münchner
Flughafen:
    Tochter des Pharma-Multis Eduard Schwartz
    schlägt Rocker (oder Neonazi) auf
Toilette nieder!
     
    »Hör mal«, der Stelzvogel trat auf sie
zu, »kannst du mir noch ‘nen winzigen Gefallen tun? Stell dich an die Tür und
halt mir für zwei, drei Minuten das Volk vom Hals.«
    »Mein Flug geht bald«, wich Anne aus.
Ihr einziger Wunsch war, diesem üblen Schlamassel sofort zu entfliehen.
Nachträglich spürte sie Angst hochkommen. Sie wollte weg, nur weg.
    »Nur zwei Minütchen, bitte!«
    »Was hast du vor?« fragte Anne, ging
aber immerhin zögernd zur Tür. Das Mädchen antwortete nicht, beugte sich über
den Typen und durchstöberte seine Kleidung, ein paar Geldscheine fanden
blitzschnell den Weg ins Innere ihrer Jacke. Geschieht dem Kerl recht, dachte
Anne mit einem verständnisvollen Lächeln, aber was jetzt kam, schien völlig
unangebracht: Sie zog ihm die Schuhe aus! Es waren perlenverzierte, spitze
Cowboystiefel mit Absätzen und imitierten Sporen dran, geschmacklos bis zum
Gehtnichtmehr, registrierte Anne nebenbei. Das Mädchen feuerte die Stiefel
zielgenau in eine der Kloschüsseln. Sie umklammerte nun das Messer. Pure
Mordlust brachte ihre Augen zum Glänzen. Es bestand kein Zweifel mehr, Anne
hatte es mit einer Wahnsinnigen zu tun.
    »Was tust du da«, flüsterte sie,
»willst du ihn umbringen?«
    »Ach wo. Obwohl ich schon Lust dazu
hätte, verdammt große Lust«, ächzte sie, während sie ihm mühsam die Jeans
auszog. Um die Prozedur zu beschleunigen, nahm sie sorglos das Messer zur
Hilfe. »Keine Sorge, nur ein kleiner Denkzettel. Paß auf die Tür auf!«
    Anne hatte sich gerade unwiderruflich
zum Gehen entschlossen, sie wollte nicht mitansehen, wie diese Übergeschnappte
dem anderen Verrückten die Geschlechtsteile abschnitt, da näherten sich
Schritte, begleitet von zwei Frauenstimmen, schrill wie Fahrradbimmeln.
Amerikanerinnen! Anne schlüpfte durch die Tür und baute sich wie ein Denkmal
davor auf. Manchmal hat es auch Vorteile, wenn man fast einsachtzig groß ist.
    »Geschlossen. Closed.« Sie vollzog die
eindeutige Handbewegung eines Scharfrichters, ihre Miene duldete keinen
Widerspruch. Die beiden stutzten und sahen sich hilfesuchend nach einem
diesbezüglichen Hinweis, einem Schild, irgend etwas Offiziellem um.
    »Why?«
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