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Schneeköniginnen

Schneeköniginnen

Titel: Schneeköniginnen
Autoren: Susanne Mischke
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verabschiedete sich eine Spur zu
schnell.
    Aus einem wachsenden Gefühl der
Unsicherheit heraus beschloß Anne, Klarheit zu schaffen und Stefan zu besuchen.
Wer weiß, auf was für Ideen er sonst noch kam, wenn er zu lange alleine, ohne
Ansprache und ohne Sex in seiner winzigen Bude hockte... Sie verscheuchte diese
beklemmenden Vorstellungen und erklärte: »Damit es nicht zu lange wird, besuche
ich ihn jetzt, quasi zur Halbzeit.«
    »Na, der wird sich freuen.«
    »Das will ich annehmen. Er weiß
nämlich noch nichts davon.« Wie komme ich eigentlich dazu, dieser Göre mein
Leben zu erzählen? Offenbar war ich zu lange allein, ich benehme mich schon wie
eine grüne Witwe, wenn der Staubsaugervertreter kommt. Aber nun gab es kein Entrinnen
mehr. Katie richtete ihre wachen grauen Augen mit lebhaftem Interesse auf Anne.
    »Eine Überraschung also. Wie
romantisch. Aber wenn er nun nicht da ist?«
    »Er wird da sein«, sagte Anne mit
absoluter Bestimmtheit. »Heute abend natürlich erst, nach Dienstschluß. Bis
dahin sehe ich mir die Sehenswürdigkeiten von New York an. Zumindest einen
kleinen Teil davon.«
    »Aha, die Sehenswürdigkeiten.« Katie
dehnte die Silben, als hörte sie das Wort zum ersten Mal, ihr Gesicht zeigte
einen Ausdruck unverhohlenen Spottes.
    »Kennst du New York?« fragte Anne.
    »Das kann man sagen. Hab’ einige Zeit
da gewohnt.«
    »Ach so. Leben deine Eltern dort?«
    »Nein. Die sind tot«, sagte Katie
knapp.
    »Das tut mir leid.«
    »Mir tut’s nur um meinen Dad leid. Ich
war mit ihm da, zusammen mit Jeff, meinem Bruder. Mein Dad war nämlich n’ Ami,
weißt du, aber mit irischen Vorfahren.«
    Damit war zumindest die Frage der
Echtheit ihrer Haarfarbe geklärt.
    »Wir hatten ‘ne prima Zeit drüben.«
    »Wann war das?« bekundete Anne ihre
höfliche Teilnahme.
    Katie runzelte die Stirn und kratzte
sich am Kopf.
    »Ist jetzt ungefähr fünf Jahre her,
daß er verunglückte. Autounfall. Da mußte ich zurück nach Deutschland.« Sie
zuckte die Schultern, stöberte in ihrer geräumigen Handtasche aus Stoff und
Wildleder, dem Muster nach stammte sie aus Mexiko, und machte Anstalten, sich
eine anzustecken.
    »Wir sind hier im
Nichtraucherbereich«, belehrte sie Anne sachlich, »das gibt Ärger.«
    »Stimmt. Hätte ich beinahe vergessen.«
Katie ließ die Zigarette wieder verschwinden und brachte statt dessen einen
Kaugummi zum Vorschein.
    »Was wollte ich gerade sagen?«
    »Du kamst vor fünf Jahren zurück nach
Deutschland.«
    »Ach ja. Mein Bruder ist drüben
geblieben, hatte ‘nen Job in ‘ner Autowerkstatt.«
    »Und jetzt besuchst du wohl deinen
Bruder?«
    »Ja, mal sehen.« Eine Kaugummiblase
quoll aus ihrem Mund, wie bei einem quakenden Frosch, sie schnappte danach und
ließ die Masse zur weiteren Bearbeitung wieder hinter ihren kleinen,
scharfkantigen Zähnen verschwinden. Anne sah angewidert zur Seite.
    »Ist schon ein dreiviertel Jahr her,
daß er geschrieben hat. Eine Karte, zu Weihnachten. Weiß der Teufel, wo er
steckt. Aber ich werde ihn schon auftreiben.«
    »Das heißt, du fliegst jetzt einfach
so rüber, aufs Geratewohl?« fragte Anne befremdet.
    »Ja, klar. Du doch auch.«
    »Da hast du auch wieder recht. Aber
wie willst du ihn finden, falls er umgezogen ist?«
    »Och, ich geh’ einfach in die Kneipen,
in denen er sich vorzugsweise rumgedrückt hat. Da treffe ich ihn sicher irgendwann,
falls er noch in New York sein sollte.«
    »Und wenn nicht?«
    »Dann hängen da garantiert
irgendwelche Leute herum, die ihn kennen. Irgendeiner wird schon Bescheid
wissen.«
    »Und wo wirst du wohnen?«
    »Muß mal sehen«, lautete die präzise
Antwort.
    Es wurde etwas serviert, das
vermutlich ein Frühstück sein sollte. Anne knabberte an dem Apfel, kostete eine
Scheibe Vollkornbrot von sägemehlartiger Beschaffenheit mit zu harter Butter
und legte dann das Besteck beiseite. Katie verschlang ihre Ration bis auf den
letzten Krümel, sogar die Gummibrötchen und das pappsüße Törtchen.
    »Du kannst mein Frühstück auch noch
haben«, lächelte Anne süßsauer.
    »Danke. Wollte dich sowieso gerade
danach fragen. Machst du ‘ne Diät?«
    »Nicht direkt. Ich habe bloß keinen
Hunger.«
    Sie tauschten Tabletts. Dieses Mädchen
schien völlig ausgehungert zu sein, nur so war es zu erklären, daß sie auch der
zweiten Portion in rasender Geschwindigkeit den Garaus machte.
    »Hm. Das war nicht übel.« Katie
unterdrückte nachlässig einen Rülpser und lehnte sich in satter Zufriedenheit
zurück, wie
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