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Schneeköniginnen

Schneeköniginnen

Titel: Schneeköniginnen
Autoren: Susanne Mischke
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konnte ihr bestimmt nichts mehr
geschehen.
    »Jetzt geht’s los«, stellte er erregt
fest. »Wissen Sie, Fräulein, das ist nämlich mein erster Flug.«
    »Tatsächlich?«
    »Ja, wissen Sie, Fräulein, früher ist
man nicht mit dem Flugzeug in die Ferien geflogen. Und von meiner Rente kann
ich mir so was nicht leisten. Aber meine Kinder haben mir diese Reise
geschenkt. Zum Siebzigsten. Ich bin letzten Monat siebzig geworden.« Er hielt
inne, um die Wirkung seiner Worte zu überprüfen.
    »Das sieht man Ihnen nicht an.« Anne
war nicht übermäßig auf Konversation versessen, aber dieser alte Mann hatte
etwas Rührendes an sich. Er nahm das Kompliment mit souveränem Nicken entgegen.
    »Ich besuche meine Schwester in
Neu-Jorrk. Sie lebt dort. Seit fünfzehn Jahren haben wir uns nicht gesehen.
Fünfzehn Jahre, jawohl.«
    »Na, die wird sich sicher freuen.«
    Der alte Herr antwortete nicht,
sondern verfolgte jetzt mit gespannter Miene die Vorführungen der Stewardeß.
Sie hatte ein maskenhaft geschminktes Pfannkuchengesicht und beschrieb gerade
die Lage der Notausgänge mit Gesten, die an unbeholfene Schwimmbewegungen
erinnerten. Anne sah ihr völlig gedankenverloren zu. Dabei wäre es besser
gewesen, den alten Herrn im Auge zu behalten, denn der folgte übereifrig den
Sicherheitsinstruktionen, wobei er schon wieder zu nesteln anfing.
    Das verdächtige Paket, das urplötzlich
auf seinen Knien lag, hätte Anne womöglich noch rechtzeitig alarmieren können,
aber als neben ihr ein fauchendes Zischen ertönte, war es zu spät. Zumindest
wußte man jetzt, daß diese automatischen Schwimmwesten tatsächlich
funktionierten. Der Alte klemmte wie ein orangefarbenes Michelin-Männchen
zwischen den Sitzen, die Arme baumelten seitwärts herab wie die Flossen eines
Pinguins, sein Kopf wurde von dem dicken Kragenwulst in lächerlicher Weise nach
oben gedrückt.
    Miss Pfannkuchen unterbrach ihre
Litanei und schoß herbei, die Leute in näherer Umgebung des Schauplatzes
kicherten, ein paar geierten unverhohlen. Der Unglücksrabe blickte in völliger
Verständnislosigkeit von einem zum anderen. Anne schwankte zwischen Verärgerung
über diese Störung und Mitleid mit dem komischen Alten. Es würde doch
hoffentlich deswegen keine Verzögerung des Starts geben? Nervös sprang sie auf
und machte der hektisch hantierenden Stewardeß Platz. In dem Moment heulten die
Triebwerke zornig auf, die Maschine löste sich vom Boden, während die Luft
pfeifend aus der Schwimmweste wich und die Lacherei langsam verebbte.
    Auf diese Weise wurde Anne ihren
Nachbarn los, denn Pfannkuchengesicht nahm ihn mit und wies ihm einen freien
Platz ganz vorne zu, um ihn fortan besser im Auge zu haben.
    Anne konnte endlich zurück auf ihren
Platz, das heißt, sie setzte sich gegen ihre Gewohnheit ans Fenster und räkelte
sich gemütlich. Eine helle, reine Sonne, wie sie nur in zehn Kilometer Höhe
strahlt, brannte durch das Panzerglas, und Anne dachte an den Rocker, oder was
immer er darstellte, in der Flughafentoilette. Sie konnte sich beim besten
Willen nicht erinnern, jemals einen Menschen tätlich angegriffen, geschweige
denn, einen niedergeschlagen zu haben. Nicht daß es an Versuchungen gemangelt
hatte, aber in ihren Kreisen war diese Form der Auseinandersetzung streng
verpönt, oder doch zumindest äußerst unüblich.
    Der Stelzvogel war, kaum daß sie
zusammen aus der Toilette gekommen waren, verschwunden und blieb wie vom Erdboden
verschluckt. Das war auch in Ordnung so. Nach einem Verbrechen ist es ohnehin
besser, wenn die Komplizen sich trennen.
    Ob sie Stefan diese Geschichte
erzählen sollte? Sicher würde er sich königlich darüber amüsieren, er neigte allgemein
zu einer lockeren Anschauung der Dinge. Ach ja, Stefan! Sie schloß einen Moment
die Augen und malte sich sein Gesicht aus, wenn er sie heute abend vor seiner
Tür vorfinden würde. Verträumt betrachtete sie die sonnenbeschienenen
Wolkengebirge und lächelte vor sich hin. Sie rief sich ihre Lieblingserinnerung
ins Gedächtnis, jenen Abend, nach ihrer schwersten Beziehungskrise, als Stefan
unangemeldet und zerknirscht bei ihr erschienen war, eskortiert von einer
Flasche Veuve Cliquot und einem Strauß selbstgepflückter Wiesenblumen, die
einen strengen Geruch nach Dung verströmten...
    Ein anderer intensiver Duft weckte sie
sanft aus ihrem Tagtraum. Endlich Kaffee! Und diese putzigen Erdnußtütchen.
Nüsseknabbernd lehnte Anne sich zurück, nahm ihre Zeitschrift, trank Kaffee,
las einen
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