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Keine Gnade

Keine Gnade

Titel: Keine Gnade
Autoren: Daniel Annechino
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Prolog
    Als Genevieve Foster aufwachte, war sie völlig orientierungslos und fühlte sich wie jemand, der nach einer schweren Operation und einer tiefen Vollnarkose wieder zu Bewusstsein kam. Sie lag auf einem Bett und wusste nicht, wo sie sich befand oder wie sie dorthin gekommen war. Als sie versuchte, sich das Haar aus dem Gesicht zu streichen, stellte sie fest, dass ihre Handgelenke mit Nylonriemen ans Kopfende des Bettes gebunden waren. Sie hob ihren schmerzenden Kopf und konnte sehen, dass auch ihre Fußgelenke ans Bett gefesselt waren. Sie lag mit gespreizten Armen und Beinen auf dem Bett. Neben dem Bett entdeckte sie die Umrisse eines Infusionsbeutels, der an einem Metallständer hing. Der Schlauch aus dem Beutel führte zu einer Kanüle, die in ihrer Armbeuge steckte. Abgesehen von dem dünnen Laken über ihrem Körper war sie vollständig nackt.
    Das kann nicht wirklich wahr sein.
    Das einzige Licht im Raum kam von den vorbeifahrenden Autos, deren Scheinwerfer die hohen Fenster gerade lange genug streiften, um Genevieve einen Eindruck von ihrer Umgebung zu verschaffen. Der Raum wirkte groß, vielleicht war es ein Loft oder ein kleines Lager. Da draußen ziemlich viele Autos vorbeikamen, vermutete Genevieve, dass es sich um eine Wohngegend handelte. Wenn sie still lag und genau hinhörte, konnte sie im Hintergrund etwas brummen hören, wahrscheinlich ein Kühlschrank. Und irgendwo auf der anderen Seite des Raums hörte sie das regelmäßige Ticken einer Uhr.
    Ticktack. Ticktack.
    Ihr kam es vor, als wollte die Uhr sie vor einer drohenden Gefahr warnen.
    Sie schloss ihre Augen und versuchte die verschwommenen Bildfetzen, die durch ihren Kopf taumelten, zusammenzufügen. Sie sah nach links, nach rechts, hielt Ausschau nach irgendetwas, das ihrem Gedächtnis auf die Sprünge helfen könnte. Aber sie entdeckte nichts und niemanden und fühlte sich unglaublich allein, von der Welt abgeschnitten. Eigenartigerweise musste sie an Cast Away – Verschollen denken, den Film mit Tom Hanks. Obwohl sie nicht wie er auf einer verlassenen Insel gestrandet war, so kam ihr dieses dunkle unheimliche Gefängnis genauso ausgestorben vor.
    Wer würde ihr zu Hilfe kommen?
    Sie atmete tief durch, sog die Luft in kurzen zittrigen Atemzügen ein und bemühte sich mit jeder Faser ihres Körpers, wach zu bleiben. Einschlafen war das Letzte, was sie im Moment wollte. Sie nahm an, die Infusionslösung war mehr als eine Nährflüssigkeit, denn sie fühlte sich viel ruhiger, als die Situation es eigentlich zuließ. Sollte sie nicht eigentlich schreien, bis sie heiser war? Ihr Körper zitterte unkontrolliert und erinnerte sie an einen kühlen Novembermorgen, als ihr Bruder sie zu einem kurzen Bad im fünfzehn Grad kalten Pazifik herausgefordert hatte. Sie schreckte nie vor einer Mutprobe zurück, war ein Wildfang in jeder Hinsicht, und so stellte Genevieve sich auch diesem Wagnis und ging nicht nur ins Wasser, sondern schwamm bis zum Ende des Crystal Pier und zurück. Zwei­ mal. Danach war ihr so kalt, dass sie eine Stunde lang nicht aufhören konnte zu zittern. In genau diesem Augenblick würde sie ihre Situation liebend gern gegen eine ausgedehnte Runde Schwimmen in eisigem Wasser eintauschen.
    Sie lag einfach still da, versuchte das überwältigende Gefühl von Hilflosigkeit zu unterdrücken und erinnerte sich dunkel an einen Sandstrand, einen Sonnenuntergang, ein hübsches Gesicht. Aber nichts von alledem passte irgendwie zusammen, ihr Gedächtnis wies allzu viele Lücken auf. Als sie schon fast dabei war, den Kampf gegen die Wirkung der starken Droge, die ihr intravenös verabreicht wurde, auf­zugeben, hörte sie, wie die Tür aufgeschlossen wurde. Ihr Kopf fuhr zur Tür herum, ihre Augen waren auf einmal wachsam und forschend. Licht fiel auf den Hartholzboden, aber nur für einen Augenblick.
    Dann versank wieder alles in der Dunkelheit.
    Plötzlich hörte Genevieve Foster ein Geräusch, das sie mehr als alles andere in Furcht und Schrecken versetzte: schwere Schritte, die auf sie zukamen.

1     Er saß an der Bar und nippte an seinem zweiten Johnny Walker Blue, um den Mut für das Undenkbare aufzubringen. Undenkbar? Gab es denn kein Wort, das seine Pläne genauer beschrieb? Er ließ den weichen Scotch im Mund kreisen, bevor er ihn langsam und bedächtig hin­unterschluckte. Die
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