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Selbstmord der Engel

Selbstmord der Engel

Titel: Selbstmord der Engel
Autoren: Jason Dark
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Carlotta lebte an der Westküste Schottlands, in einem Außenbezirk von Dundee. Da war das offene Meer nahe, und es gab für das Vogelmädchen nichts Schöneres, als die Stille über dem Wasser zu genießen. Hier war sie weit ab von der normalen Welt. Hier konnte sie eins mit der Natur sein und ihrer Stimme lauschen. Hier fühlte auch sie sich wie ein Teil der Natur, auch wenn sie anders war als die normalen Menschen, die keine Flügel besaßen. Carlotta schon, denn sie war das Produkt einer genetischen Manipulation und hatte sich an dieses Leben gewöhnt, auch wenn es vor den Augen der Öffentlichkeit geheim gehalten werden musste. Dafür sorgte schon Maxine Wells, die Tierärztin, bei der Carlotta wohnte.
    Maxine war nicht dafür, dass sie ihre Ausflüge unternahm. Zu viele Gefahren lauerten in einer fremden Welt. Carlotta gab ihr auch Recht, doch hin und wieder musste sie losfliegen und sich den Wind um die Ohren wehen lassen.
    Am liebsten wäre sie tagsüber geflogen, doch das wäre zu gefährlich gewesen. Deshalb nutzte sie die Chance, die sich ihr bei der Verabschiedung des Tags und dem Anbruch der Nacht bot. Dieser Zwischenraum sorgte hin und wieder für eine klare Sicht über das Meer hinweg, und auch das Land lag oft so ruhig und still unter ihr. Die Sorgen entschwanden. Das Vogelmädchen fühlte sich als Königin. Es glaubte daran, die ganze Welt beherrschen zu können, wenn ihr nur die Freiheit gegeben war.
    An diesem Abend hatte sie sich entschlossen, nach Westen zu fliegen. Das Meer genießen. Es unter sich liegen zu sehen, von seiner Unendlichkeit schwärmen. Ein Auf und ab der Wogen, die nie zur Ruhe kamen.
    Manchmal schrie sie vor Glück, wenn sie dem Gefühl, das sie umfing, nachgab. Es war so wunderbar. So einmalig. Die Luft schmeckte salzig, und zugleich war sie von bestechender Klarheit. Wenn sie dann ihre mächtigen Lungen mit Luft füllte, hatte sie das Gefühl, sie trinken zu können.
    Rein, klar, kein Dreck, keine Umweltverschmutzung. Das alles hatte sie zurückgelassen. An die Stadt wollte sie nicht denken. Zunächst die Freiheit genießen, und wenn sie danach zurückkehrte und von Maxine Wells in die Arme geschlossen wurde, gab ihr das ebenfalls ein gutes Gefühl.
    Carlotta konnte fliegen, weil sie Flügel besaß. Sie wuchsen ihr aus dem Rücken. Sie bestanden aus wunderbar weichen Federn, aber sie besaßen eine Kraft, die schon erstaunlich war. Und die Kraft steckte auch in den Schultern des Mädchens und in den Lungen. Es hätte ihr auch nichts ausgemacht, Maxine auf ihren Rücken zu packen und mit ihr loszufliegen. Das wäre nicht das erste Mal gewesen, aber die Tierärztin hatte abgewunken. Sie wollte, dass Carlotta ihre Freiheit allein genoss, auch wenn sie sich in dieser Zeit immer Sorgen machte.
    Das Vogelmädchen war nicht allein unterwegs. Hoch am Himmel sah sie die blinkenden Lichter, die sich voranbewegten. Ein Flugzeug zog seine Bahn, und Carlotta dachte daran, dass auch sie die Höhe erreichen konnte, wenn sie wollte.
    Allerdings wäre dort die Kälte zu einem Problem geworden, und so bewegte sie sich in für sie erträglichen Höhen.
    Sie mochte die Welt, in der sie lebte. Sie wollte nicht woanders sein. Ein gütiges Schicksal hatte sie zu Maxine Wells geschafft, weg aus der verdammten Genfabrik.
    Sie flog.
    Sie genoss.
    Sie jubelte mit ihrer hellen Stimme in die klare Luft hinein.
    Sie ließ sich von den Winden tragen, um selbst Kräfte zu sparen. Manchmal breitete sie die Arme und auch die Beine aus, dann sah sie aus wie ein Fallschirmspringer, der erst noch seinen Schirm ziehen musste, um sicher zu landen.
    Aber sie war auch nicht so naiv, dass sie die Gefahren vergessen hätte, die auch lauerten. Da hatte sie bereits böse Erfahrungen in der Vergangenheit sammeln können. Sie hatte mit Kreaturen Kontakt gehabt, an die die Mehrzahl der Menschen gar nicht glaubte. Die möglicherweise in alten, bösen Geschichten vorkamen und den Pegel der Angst ansteigen ließen. Sie hatte es erlebt, ebenso wie Maxine und deren Freunde, die in London lebten.
    Auf Grund dieser Erfahrungen fühlte sie sich bei ihren Ausflügen nie so frei wie sie es gern gehabt hätte. Ein gesundes Stück Misstrauen und Aufmerksamkeit war immer vorhanden, auch wenn sie hin und wieder mit geschlossenen Augen flog, um das Erlebnis noch mehr genießen zu können, denn die Welt war auch herrlich und schön.
    Einige Meilen weit war Carlotta hinaus auf das Meer geflogen. Allerdings begrenzte sie das Risiko. Sie hielt
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