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Selbstmord der Engel

Selbstmord der Engel

Titel: Selbstmord der Engel
Autoren: Jason Dark
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ging davon aus, dass der Engel ein Geheimnis mit sich herumtrug. Bereits sein Körper war etwas Geheimnisvolles. In seinem Innern kam dies sicherlich stärker zum Ausdruck.
    Hinlaufen? Ihn ansprechen?
    Ja, das war die Möglichkeit. Aber Carlotta wollte es nicht übertreiben. Sie musste vorsichtig sein, um den Engel nicht zu erschrecken. Meditierende Menschen zu stören, gefiel ihr nicht. Deshalb grübelte sie schon jetzt über die richtigen Worte nach.
    Die Konzentration wurde ihr geraubt, als sie sah, dass sich der Engel bewegte. Er breitete jetzt seine Arme aus, legte den Kopf zurück und schaute gegen den Himmel, der noch nicht völlig eingedunkelt war und in dem noch immer ein fahler Glanz leuchtete.
    Die Fremde blieb so stehen. Sie schien das Meer grüßen zu wollen. Beide Arme hielt sie der See entgegengestreckt wie eine Zauberin, die durch ihre Kraft dafür sorgte, dass sich das aus der Tiefe hob, was überlange Zeit darin verborgen gewesen war.
    Carlotta ging nicht näher heran. Sie wartete darauf, dass etwas passierte. Für sie gab es da nichts zu diskutieren. Noch immer machte der Engel den Eindruck, als wollte er die Natur beherrschen.
    Nur trat keine Veränderung ein.
    Bei dem Engel wohl.
    Er ging einen Schritt nach vorn auf den Rand der Klippe zu. Dann noch einen und einen dritten.
    Er hatte den Rand erreicht.
    Nachdem er für wenige Sekunden stehen geblieben war, drückte er seinen Oberkörper nach vorn. Für Carlotta war dies nichts Besonderes, denn auch sie war bereits zu ihren Flügen von einer Klippe gestartet. Das würde der Engel ebenso halten.
    Er hielt es nicht so.
    Carlotta hörte noch den Schrei, und einen Moment später stürzte sich die Gestalt kopfüber in die Tiefe, als wäre sie die Anführerin einer Horde von Lemmingen...
    ***
    Diese Tatsache zu begreifen, fiel dem Vogelmädchen verdammt schwer. Carlotta stand wie festgewachsen auf dem Fels. Die letzten Vorgänge liefen immer wieder vor ihrem geistigen Auge ab, und sie musste zugeben, dass sie nichts ändern konnte, um es positiver zu sehen.
    Eine kleine Hoffnung gab es noch. Es konnte ja sein, dass der Engel auf dem Weg nach unten seine Flügel ausgebreitet hatte, um dann in einer geringen Höhe über das Wasser hinweg aufs Meer zu fliegen.
    Diese Annahme war für Carlotta der Strohhalm der Hoffnung, an den sie sich klammerte. Sie musste Klarheit haben, und das schaffte sie nur, wenn sie einen Blick nach unten warf.
    Der kurze Weg zum Rand der Klippe fiel ihr schwer. Ihr gesamter Körper schien um einiges schwerer geworden zu sein. Und die Hoffnung sank ebenfalls immer mehr.
    Sie schlurfte über den blanken Fels hinweg und blieb erst stehen, als sie über die Klippe hinweg in die Tiefe schauen konnte. Es war wie immer. Das Meer donnerte heran. Es produzierte seine Gischt. Es suchte sich Lücken im Gestein, in die es hineingurgelte, um sich dann wieder zurückzuziehen.
    Carlotta schaute in die Tiefe. Sehr deutlich spürte sie ihren Herzschlag. Sie hatte den Engel nicht mehr in der Luft gesehen, deshalb musste sie den Boden absuchen.
    Jetzt war es schon ein wenig zu dunkel. Auch das schimmernde Wasser sorgte für keine besondere Sicht. Carlotta stand an dem Ort, von dem aus sich die Person in die Tiefe gestürzt hatte. Sie glaubte nicht daran, dass sie abgetrieben worden war. Deshalb konzentrierte sie sich auf eine bestimmte Stelle.
    Ja, da lag etwas!
    Es wurde sogar von den anrollenden Wellen erfasst. Allerdings nicht so stark, als dass das Wasser den Gegenstand ins Meer hätte reißen können. Dazu war er einfach zu schwer.
    Carlotta glaubte nicht daran, dass es sich um einen Stein handelte, der zufällig die Form eines menschlichen Körpers besaß. Sie hatte die Person nicht persönlich gekannt. Trotzdem zog der Schmerz ihre Brust zusammen. Sie merkte das Brennen der Augen, richtete sich zur vollen Größe auf und ging einen Schritt nach vorn.
    Sofort verlor sie den Boden unter den Füßen. Auch Carlotta fiel wie ein Stein in die Tiefe, jedoch nur für einen winzigen Moment, denn danach breitete sie sofort ihre Flügel aus. Wie immer fühlte sie sich auf-gefangen von einer Luftströmung, die wie ein weiches Kissen wirkte und sie so abfederte.
    Sie kam sich wieder vor wie ein Vogel, der weich landete.
    Die Gischt erwischte sie wie ein Regen von unten. Auf einer nassen, aber sehr runden Klippe fand sie den entsprechenden Halt und störte sich nicht daran, dass Wasser den Ort umschmatzte.
    Ihr Blick fiel nach vorn und zugleich nach unten.
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