Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die dunkle Seite

Die dunkle Seite

Titel: Die dunkle Seite
Autoren: Frank Schätzing
Vom Netzwerk:
Kuwait, 1991

Dienstag, 26. Februar

15.02 Uhr. Jeep
    Der Scharfschütze wußte sehr genau, daß Sand eine Farbe hat. Dennoch fühlte er sich wie in einem Schwarzweißfilm, und Schwarz herrschte vor.
    Er saß mit angezogenen Beinen hinten im Jeep, das Maschinengewehr auf den Knien, und starrte auf die rußigen Finger am Horizont. Seit die Iraker damit begonnen hatten, Ölquellen anzuzünden, war es selbst den Söldnern mulmig geworden. Die Vorstellung, Saddam könne der Welt die Sonne nehmen, hatte etwas ungemein Deprimierendes. Im Grunde war es dem Schützen gleich, wer aus diesem Krieg als Sieger hervorgehen würde, solange man ihn gut bezahlte. Die Alliierten schrieben Schecks aus, also führte er den gerechten gegen den heiligen Krieg. Hätte der Diktator das Angebot verdoppelt, wäre er unter Umständen bereit gewesen, seine Rolle zu überdenken. Aus der Deckung des gegenüberliegenden Sandwalls auf den eigenen zu schießen, machte keinen Unterschied. Ob Saddam oder Bush, Sand blieb Sand, und der Feind war ein Verbündeter, weil es ohne ihn nichts zu verdienen gab.
    Jetzt allerdings, im Angesicht der öligschwarzen Gespenster, begann der Söldner den irakischen Diktator zu hassen. Er dachte an das Haus gleich oberhalb von Nizza, das er kaufen wollte, an die Terrasse, auf der er sich so oft schon hatte sitzen sehen, während ihm die Sonne die schäbigen Reste seiner käuflichen Vergangenheit aus den Poren brannte, und fühlte sich betrogen.
    Saddam brachte den Winter.
    Kein dunkelblauer Himmel mehr über Frankreichs Küste. Kein feuriger Ball, der abends im Meer versank. Kein nach Kräutern duftender, frischer Fisch zum Abendessen. Nur Ruß und Schwermut, nuklearer Winter, Endzeit.
    Manche Dinge verdienten kein Pardon.
    Der Jeep rumpelte ostwärts.
    Mit jeder Erschütterung glitt ihm die Sonnenbrille einige Millimeter über den schweißglatten Nasenrücken nach unten. Seine Linke fuhr hoch und brachte das Gestell wieder in Position, ein mechanischer Sisyphusakt im Sechzig‐Sekunden‐Takt, während sein Blick träge das Terrain absuchte. Ihm war, als schwitze auch sein Hirn.
    Von Zeit zu Zeit, wenn sie über einen Gesteinsbrocken fuhren, schlug ihm der Stahlrahmen ins Kreuz, und er rutschte unruhig hin und her, begab sich von dieser Unbequemlichkeit in die nächste und umklammerte das Gewehr fester mit der Rechten, während sich die Linke erneut bereitmachte, die Sonnenbrille auf ihren Platz zu verweisen. So starrte er hinaus in die Gleichförmigkeit und fühlte Geist und Gliedmaßen schwerer werden.
    Der Fahrer des Wagens drehte sich zu ihm um und grinste. »Wir habenʹs bald«, sagte er fast entschuldigend. »Halbzeit ist lange um.«
    Der Scharfschütze nickte. Sie waren seit über drei Stunden unterwegs. Sie würden weitere ein bis zwei Stunden fahren müssen, um das Nachschublager nahe der irakischen Grenze zu erreichen, einen von Dutzenden Luftlandestützpunkten der alliierten Streitkräfte.
    Zwei Tage zuvor waren mehr als dreihundert Helikopter hinter den feindlichen Linien gelandet. Die Nachschublager lagen teilweise bis zu fünfzig Kilometer weit im Innern des Irak. In einer Nacht- und Nebelaktion hatte Norman Schwarzkopf, Oberbefehlshabender der Streitkräfte, das siebte Corps vom Persischen Golf nach Westen verlegt. Saddams gefürchtete republikanische Garde saß hoffnungslos in der Falle.
    Aber niemand wußte, wozu die Garde fähig war. Sie machte den Alliierten angst. Wer in der Falle saß, hatte nichts zu verlieren, und über Saddams Elite erzählte man sich die fürchterlichsten Dinge. Je länger das Warten auf den Bodeneinsatz gedauert hatte, desto monströsere Auswüchse nahmen die Berichte an.
    Im Laufe des Nachmittags begannen sich die Meldungen zu überschlagen. Wie es aussah, hatte sich das siebte Corps unbeschadet bis zu der Hafenstadt Basrah und nach Kuwait City durchgeschlagen.
    Araber, Amerikaner und Ägypter stießen aus dem Süden dazu. Von allen Seiten begannen Verbände der Alliierten die letzten Bastionen der Iraker einzukreisen. Dann neue Funksprüche. Offenbar hatte die Garde den Ausfall gewagt. Informationen kollidierten. Einmal hieß es, Gardisten sei die Flucht gelungen. Dann wieder, alliierte Luftverbände hätten den Konvoi der Iraker nahezu eingeebnet, und daß die Hauptausfahrtroute an einem kilometerlangen Stau explodierter und brennender Fahrzeuge ersticke. Schwarzkopfs Einkesselungsstrategie schien aufzugehen. Ein zweiter Hannibal schickte sich an, Cannae zu wiederholen.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher