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Wer nie die Wahrheit sagt

Wer nie die Wahrheit sagt

Titel: Wer nie die Wahrheit sagt
Autoren: Catherine Coulter
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waren weiß, schossen mal in diese, mal in jene Richtung, immer in Bewegung, immer näher. Lily war wie erstarrt, konnte nur zusehen, wie die weißen Kegel immer näher kamen, jetzt nur mehr ein, zwei Meter weit weg, jetzt im schwarzen Kreis. Sie musste handeln, sofort.
    Tammy sah, dass etwas nicht stimmte. Sie zog ein Messer aus dem Schaft ihres Stiefels, ein langes, hässliches Messer. Sie hob das Messer und rannte auf Lily zu.
    Lily überlegte nicht, hob einfach die Pistole und schrie: »Nein, Tammy, es ist aus. Ja, ich kann dich sehen. Sobald du näher kamst, habe ich dich gesehen, nicht meinen Bruder. Die Ghule können dir nicht helfen.«
    Gerade als Tammy sich mit hoch gerecktem Messer auf sie stürzen wollte, zog Lily am Abzug, zog wieder und wieder am Abzugshahn, und Tammy Tuttle wurde von den Füßen gerissen und von der geballten Kraft der Kugeln fast zwei Meter weit nach hinten geschleudert. Sie blieb flach auf dem Rücken liegen, klaffende Löcher in der Brust. Ihr Arm lag ausgestreckt im rechten Winkel da, der leere Ärmel ringelte sich am Boden.
    Aber Lily traute ihr nicht. Keuchend, fast außer sich, rannte sie zu ihr und jagte ihr die letzte Kugel aus kaum dreißig Zentimeter Entfernung in den Körper. Tammys Leib zuckte beim Aufprall hoch. Wieder und wieder feuerte sie, aber es klickte nur noch. Die Pistole war leer, aber Tammy noch immer am Leben, ihre Augen auf Lilys Gesicht gerichtet. Tammy lag auf dem Rücken, lag in ihrem Blut, die Hand zusammengeballt an der Seite. Selbst ihr Hals war von einer Kugel aufgerissen worden. Lily fiel auf die Knie und legte die Finger an Tammys blutigen Hals.
    Kein Puls.
    Aber ihre Augen blickten noch immer zu Lily auf, blickten in sie hinein. Tammy war noch da, krallte sich noch an ihr Leben. Ihre Lippen bewegten sich, aber kein Laut kam heraus. Langsam, ganz langsam, trat ein leerer Ausdruck in ihre Augen. Jetzt war sie tot, der Irrsinn war aus ihrem Blick gewichen, ihre Augen sahen nichts mehr.
    Es herrschte absolute Stille.
    Lily blickte auf. Die Ghule waren verschwunden, sie waren mit Tammy verschwunden.

30
WASHINGTON D.C.
    Spurensicherungsexperten des FBI durchstöberten jeden Zentimeter der Scheune am Plum River in Maryland.
    Sie fanden Schokoriegelverpackungen – mehr als drei Dutzend – aber keine Kleidung, kein Bettzeug, kein Anzeichen, dass Tammy Tuttle sich hier länger aufgehalten hätte.
    Und es gab keine Spur von Marilyn Warluski.
    »Sie ist tot«, sagte Savich, und Sherlock hasste die erdrückenden Schuldgefühle, die in seinem Ton mitschwangen.
    »Was diese Sippe angeht, können wir mit nichts sicher sein«, sagte sie sachlich, trat jedoch näher an ihn heran und legte ihm sanft die Hand auf die Schulter.
Zwei Tage später
    Es war Spätnachmittag, und es hatte aufgehört zu schneien.
    Washington lag unter einer makellos weißen Schneedecke, und vom Himmel strahlte die Sonne herab. Die Leute waren an diesem kalten, klaren Sonntag draußen, während gleichzeitig die Presse bekannt gab, dass die flüchtige Killerin Tammy Tuttle in einer Scheune in Maryland erschossen worden war.
    Lily kam mit einer Tasse Tee in der Hand ins Wohnzimmer. »Ich habe Agent Clark Hoyt in Eureka über seine Privatnummer angerufen, weil ja heute Sonntag ist. Ich konnte nicht anders, konnte einfach nicht warten. Gott segne ihn, es schien ihm nichts auszumachen. Er sagt, dass in Hemlock Bay die Gerüchteküche kocht, was die Morde an Elcott und Charlotte betrifft. Der Bürgermeister, der Stadtrat und die örtliche Methodistenkirche wollen eine große Begräbnisfeier abhalten. Er sagt, dass die Hintergründe, warum sie getötet wurden, keiner so genau wissen wolle, aber es sei durchaus möglich, dass das Getuschel die Wahrheit sogar noch übertreffe.«
    Lily schwieg einen Augenblick, dann fügte sie hinzu: »Ich habe auch Tennyson angerufen. Er ist sehr traurig über den Tod seiner Eltern. Es ist furchtbar schwer für ihn, zu akzeptieren, was sie getan haben, dass sie ihn für ihre Zwecke benutzt haben – uns beide benutzt haben. Er sagte, er wisse jetzt, dass seine Eltern mir die ganze Zeit Depressiva gaben und dass sie die Sache mit meinen Bremsen arrangiert haben.«
    »Aber woher wussten sie überhaupt, dass du nach Ferndale fahren wolltest?«, erkundigte sich Sherlock.
    »Tennyson hat sie von Chicago aus angerufen und zufällig erwähnt, dass ich vorhatte, nach Ferndale zu fahren und wann. Er tut mir Leid, aber andererseits frage ich mich, wie man seine Eltern nur so
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