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Zuckerguss (German Edition)

Zuckerguss (German Edition)

Titel: Zuckerguss (German Edition)
Autoren: Anica Schriever
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1
    Geschafft! Endlich.
    Mit einem breiten Lächeln blicke ich auf das unscheinbare Blatt Papier in meinen Fingern. In großen Lettern leuchtet mir das Wort Seminarschein entgegen, darunter die krakelige Unterschrift meines Literaturdozenten Prof. Dr. Hartmann-Steinfeldt. Seines Zeichens Experte auf dem Gebiet der Romantik und eifrig darum bemüht, dieses gequälte Geseufze Studenten wie mir schmackhaft zu machen. Was mich angeht: ein aussichtsloser Kampf. »Frau Behrens, Sie haben noch weniger Ahnung von dieser Epoche, als Sie es ohnehin schon gekonnt zu verbergen wissen.«
    Was soll’s?! Ich habe meinen allerletzten Leistungsnachweis trotzdem bekommen, zwar mit Ach und Krach, aber danach fragt am Ende niemand mehr.
    Mit ausgestreckten Armen drehe ich mich im Kreis. Ich fühle mich wie Kate Winslet in Titanic , als sie gemeinsam mit Leonardo DiCaprio vorne auf dem Schiffsbug steht, der Wind durch ihr rotes Haar fährt und sie ruft: »Ich fliege, Jack!«
    »Miriam, was treibst du da?«
    Ich zucke zusammen und unterdrücke in letzter Sekunde einen panischen Aufschrei. Moritz, mein Mitbewohner, mustert mich mit hochgezogenen Augenbrauen.
    »Nichts.« Mit hochrotem Kopf zwänge ich mich an ihm vorbei in die Küche.
    Moritz setzt sich in einen der beiden Rattansessel und grinst wissend. »Träumst du wieder im Stehen?«
    »Nee«, entgegne ich knapp, darauf bedacht, nicht noch röter anzulaufen. »Wie kommst du darauf?« Ich setze Wasser auf und fülle ein Tee-Ei mit einer penetrant riechenden Granatapfel-Melonen-Mischung, die ich vor ein paar Tagen im Tee-Kontor entdeckt habe.
    »Du glotzt so verträumt in die Gegend, wie du es sonst nur beim Anblick von Mr. Darcy tust«, sagt Moritz mit einem dramatischen Seufzen in der Stimme.
    »Blödmann!«
    Ich lächele still in mich hinein. Für einen Augenblick stelle ich mir tatsächlich vor, wie Mr. Darcy, der attraktive und gebildete Held aus Jane Austens Roman Stolz und Vorurteil (den ich schätzungsweise einhundertachtzehn Mal gelesen habe), vor mir steht, meine Hand ergreift, mir dabei tief in die Augen schaut und …
    »Du tust es schon wieder«, gluckst Moritz.
    »Pfff.«
    »Was findet ihr Frauen bloß an dem Kerl?« Er schüttelt missbilligend den Kopf. »Darcy stolziert durch die Gegend, als hätte er einen Stock verschluckt, schnauzt permanent seine Angebetete voll und ist eitel bis zu den überlangen Koteletten.«
    »Das verstehst du nicht!«
    »Offensichtlich.«
    Männer! Und da wundert Moritz sich, wenn ich mich in eine Phantasiewelt flüchte, wo es noch echte Mr. Darcys gibt. Höfliche, edelmütige und leidenschaftliche Helden, die eine Dame auf Händen tragen und ihr jeden Wunsch von den Augen ablesen, weil sie die Einzige für ihn ist. Leider scheint diese Gattung Mann heutzutage ausgestorben zu sein. Im einundzwanzigsten Jahrhundert bleiben einer Frau nur ihre Tagträume. Und die sechsteilige BBC -Filmadaption von Stolz und Vorurteil . Mit Colin Firth. Schmacht.
    »Wieso bist du überhaupt wach?« Ich werfe einen Kontrollblick auf die Digitalanzeige der Mikrowelle. 11:09 Uhr. »Das ist doch noch gar nicht deine Zeit.« Wie auf Kommando gähnt Moritz herzhaft. »Lange Nacht gehabt?«
    »Woher weißt du das?«
    Bei dem Versuch, mit der Teetasse in der Hand über Moritz’ ausgestreckte Beine zu steigen, stoße ich mir den Zeh an einer Schrankecke. Lautstark jaule ich auf und verfluche zum tausendsten Mal unsere Miniküche, die mich früher oder später zum Totalinvaliden machen wird. Winziger als eine Sardinendose, dafür genauso vollgestopft. Die Küchentür geht nur bis zur Hälfte auf, weil rechts die massive Einbauküche steht und in der anderen Ecke ein potthässliches Regal aus den Fünfzigern, das neben einer Holzwurmfamilie auch Moritz’ kompletter Brockhaus-Sammlung Asyl bietet. Fein säuberlich eingestaubt. Ich könnte jedes Mal heulen, wenn ich darüber nachdenke, was das für verschwendete Ressourcen sind.
    Mit schmerzverzerrtem Gesicht plumpse ich in den Korbsessel und reibe meinen malträtierten Zeh. »Dein Rotkehlchen hat heute früh über eine Stunde das Badezimmer blockiert. Ich bin deswegen fast zu spät zur Uni gekommen!«
    »Gib ihnen nicht immer solche Namen.«
    »Du kennst ihren nicht einmal!«, weise ich ihn sauertöpfisch zurecht.
    Moritz hebt gleichgültig die Schultern. »Wozu sich mit Belanglosigkeiten aufhalten? Für die Art von Konversation, die mir vorschwebt, sind Namen überflüssig.« Er zeigt sein Haifischgrinsen.
    Ich verdrehe
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