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Seemannsbraut: Eine 40000 Kilometer lange Liebesgeschichte (German Edition)

Seemannsbraut: Eine 40000 Kilometer lange Liebesgeschichte (German Edition)

Titel: Seemannsbraut: Eine 40000 Kilometer lange Liebesgeschichte (German Edition)
Autoren: Nancy Krahlisch
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Kapitel 1: Abschied
    E igentlich müssten wir jetzt weinen. Zumindest ich müsste jetzt weinen. Auch diesmal habe ich eine große Packung Taschentücher dabei. Für den Notfall. Aber ich weine nicht. »Warum weinst du eigentlich nur, wenn ich nach Hause komme? Aber nie, wenn ich fahre?«, fragte Heribert mich einmal. Ich wusste keine Antwort darauf. Normalerweise habe ich nämlich Mühe, meine Tränen zurückzuhalten. Ich kenne niemanden, der mehr Tränen vergießt als ich, außer vielleicht meine Mutter. Aber die weint auch schon, wenn beim Fahrradfahren der Wind weht oder beim Autofahren die Sonne scheint. Sie hat empfindliche Augen. Ich dagegen bin eine richtig rührselige Heulsuse. Doch gerade sind meine Augen ganz trocken. Ich glaube, ich kann es einfach noch nicht realisieren. Heribert ist doch gerade erst nach Hause gekommen. Wie kann er da jetzt schon wieder fahren?
    Es ist 6 Uhr morgens, seit drei Stunden sind wir auf den Beinen. Heribert hat bereits eingecheckt, er fliegt nach Caracas in Venezuela. Dort geht er dann an Bord seines Schiffes. Wir umarmen uns, küssen uns, dann sehen wir uns immer wieder schweigend an. Ich schlinge meine Arme um seinen Rücken, vergrabe meine Hände unter seiner Jacke. Ich will ihn nicht loslassen. Noch nicht. Wir stehen in der Schlange vor der Sicherheitskontrolle. Jeden Moment kann die Schlange aufrücken, gleich wird Heribert durch die Tür gehen und hinter der milchglasfarbenen Scheibe verschwinden. An der Tür ist Schluss. Weiter darf ich nicht mit.
    Wir haben Mitte September. Der Sommer ist fast vorbei, aber draußen ist es noch herrlich mild. Gestern Nachmittag haben wir gemeinsam auf dem Balkon in unserer Hängematte gelegen und die wärmenden Sonnenstrahlen genossen. Erst im Januar wird Heribert zurückkehren, vielleicht sogar im Februar. In frühestens vier Monaten werden wir uns wiedersehen. Vier Monate sind eine lange Zeit. Dann ist der Sommer längst Geschichte, auch der Herbst wird vorüber sein. Dann ist Winter.
    »Frohe Weihnachten«, flüstere ich etwas trotzig.
    »Guten Rutsch«, erwidert er. Wir müssen lachen. Weihnachten und Silvester sind im September noch unendlich weit weg. Meine Hände kriechen noch tiefer unter seine Kleidung, ich kann seine Haut spüren. Ich lege meinen Kopf an seine Schulter, atme den Duft seiner Haut ein. Diesen Geruch werde ich vermissen. Bis zum Wiedersehen werde ich ihn wahrscheinlich vergessen haben. Zumindest fast.
    »Vergiss mich bitte nicht«, flüstert Heribert, als könnte er meine Gedanken lesen.
    »Pass auf dich auf!«, erwidere ich. Wir küssen uns ein letztes Mal, dann geht er durch die Tür.
    Ich atme tief ein, mache auf dem Absatz kehrt und laufe schnell in Richtung Ausgang. Ich laufe vorbei an all den gutgekleideten Geschäftsleuten, die zu einem Termin nach Frankfurt, München oder London müssen. Vorbei an den glücklichen Paaren und Familien, die gleich in den Urlaub fliegen. Ich laufe immer weiter auf den Ausgang zu, ohne mich noch einmal umzudrehen.
    Ich habe Glück, der Bus steht schon vor der Tür. Kaum sitze ich, klingelt mein Telefon. Heribert ist am Apparat.
    »Du hast dich gar nicht mehr umgedreht«, sagt er mehr fragend als vorwurfsvoll.
    »Doch«, lüge ich, »aber du hast in die andere Richtung gesehen.« Warum lüge ich? Spielt es eine Rolle, ob ich mich noch einmal umdrehe?
    »Wir boarden gleich, ich melde mich dann aus Venezuela.« Ich erwidere nichts.
    »Ich liebe dich«, sagt er.
    »Ich liebe dich«, antworte ich.
    Dann legt er auf.
    Ich rutsche noch ein Stück tiefer in den Sitz hinein und schließe die Augen. Ich versuche mich daran zu erinnern, wie alles begann.

    Vor fast zehn Jahren habe ich ihn kennengelernt, meinen Seemann. Wir studierten beide in Bremen; er Nautik, ich Journalistik. Das neue Semester hatte gerade begonnen. Wir trafen uns auf einer Wohnheim-Party. Die Party fand in dem Gebäude statt, in dem ich mein kleines möbliertes Studentenzimmer hatte.
    Ich liebte diese Partys direkt im Wohnheim. Nur ein paar Treppenstufen, schon war ich im Bett. Ich kam erst spät, ich hatte gearbeitet. Ich jobbte als Kellnerin in einer Jazz-Bar. An diesem Abend hatten Musiker der NDR-Bigband gespielt. Die Bar war voll, das Trinkgeld reichlich. Ich mochte meinen Job, die Musik, die Kollegen, die Gäste. Das Tollste an dem Kellnerjob in Bremen war, dass man hinter der Bar fast ausschließlich Becks-Flaschen öffnete. Die wenigsten Biertrinker wollten ein Glas, das sparte den Abwasch.
    Es war schon
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