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Der Engelspapst

Der Engelspapst

Titel: Der Engelspapst
Autoren: Jorg Kastner
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Prolog
    « Habemus papam! – Wir haben einen Papst!» Als Monsignore Gianfranco Tamberlani, Kardinalprotodiakon und Vorsitzender der Apostolischen Signatur, auf dem Balkon der Vatikanbasilika die feierlichen Worte ins Mikrofon sprach, atmete die vieltausendköpfige Menge auf. Dicht zusammengedrängt hatten die aus allen Erdteilen zum Konklave nach Rom gereisten Gläubigen trotz des Nieselregens auf dem Petersplatz ausgeharrt. Herbeigelockt von den dicken weißen Rauchwolken, die knapp eine Stunde zuvor aus dem kleinen Schornstein der Sixtinischen Kapelle aufgestiegen waren. Dort hatten, unbeachtet von den majestätisch über ihren Häuptern schwebenden Gestalten auf den leuchtenden Deckenfresken Michelangelos, die drei als Wahlprüfer ausgelosten Kardinäle die anonymen Stimmzettel und alle Aufzeichnungen der Wahlversammlung vorschriftsmäßig im alten Ofen der päpstlichen Hauskapelle verbrannt. Zusammen mit den Stäbchen, deren chemische Zusammensetzung dem Rauch das unverkennbare Weiß verlieh.
    Der alte Kardinal Tamberlani war, als er den Balkon betrat, für einige Sekunden der meistbeachtete Mann Roms und der ganzen christlichen Welt. Auf dem Petersplatz und vor Millionen Fernsehschirmen hatten Christen nicht nur der römisch-katholischen Konfession mit angehaltenem Atem darauf gewartet, dass der dienstälteste Diakon unter den Kardinälen, dem die Verkündung des Wahlergebnisses oblag, sich endlich zeigte. Allen düsteren Prophezeiungen zum Trotz, dass mit dem Tod des letzten Papstes, der ausgerechnet am Karfreitag verschieden war, das Ende des Papsttums, der römisch-katholischen Kirche und der ganzen Menschheit gekommen sei, hatten die im Konklave versammelten Kardinäle sich auf einen Nachfolger geeinigt.
    Der weiße Rauch bewies es.
    « Habemus papam! »
    Das tausendfache Raunen und Flüstern vor Sankt Peter explodierte in einem gigantischen Jubelschrei. Der alte ägyptische Obelisk, der sich aus der Mitte der Menge in den trüben Aprilhimmel reckte, und die Heiligenfiguren auf den Kolonnaden rings um den Platz schienen regelrecht zu erbeben.
    Immer mehr Porporati- «Purpurne», wie der Volksmund die Kardinäle aufgrund ihrer scharlachroten Soutanen nannte –
    drängten sich auf den Balkon. Allerdings trugen sie statt des leuchtenden Purpurs die schwarzen Talare, die für die Sedisvakanz, die papstlose Zeit, vorgeschrieben waren. Nur die breiten Schärpen und die Kopfbedeckungen waren in der Ehrenfarbe der Kardinäle gehalten. Ob Schwarz oder Rot, die obersten Vertreter der heiligen römischen Kirche interessierten die Gläubigen in diesem Augenblick nicht im Geringsten.
    Unzählige Augenpaare suchten das Gewühl auf dem Balkon nach dem Mann in der weißen Soutane ab, der Farbe der Unschuld und der Reinheit, des ungebrochenen Lichts und der unbedingten Wahrheit – in der Farbe des Papstes.
    Nun lenkte ein von Trommelwirbeln begleiteter feierlicher Aufzug vor der Vatikanbasilika die Aufmerksamkeit auf sich. Die Schweizergarde, seit fünfhundert Jahren Beschützerin des Heiligen Vaters, hatte zu Ehren des neu gewählten Oberhirten ihre im Blau-Gelb-Rot der Medici gehaltene Galauniform angelegt. Für gewöhnlich war die prachtvolle altertümliche Aufmachung mit den schwarz glänzenden, federbuschbesetzten Helmen und den langen Hellebarden eine Touristenattraktion ersten Ranges, aber an diesem Tag konnte sie die Menge nicht lange fesseln.
    Ein Stück weißer Soutane schimmerte zwischen dem Schwarz und Rot der Kardinäle hindurch. Jeder, der es sehen konnte, wusste, dass dort, noch verborgen vor den Augen der Öffentlichkeit, der neue Papst stand.
    Kardinal Tamberlani breitete die Arme zu einer Ruhe einfordernden Geste aus und wiederholte: «Wir haben einen Papst – Kardinal Jean-Pierre Gardien …»
    Er hatte den Namen kaum ausgesprochen, als seine Stimme trotz der leistungsstarken Lautsprecheranlage erneut vom Geschrei der Menge übertönt wurde. Längst nicht alle jubelten.
    Viele fragten verwirrt, ob sie den Namen richtig verstanden hätten und wer dieser Kardinal Gardien überhaupt sei. Auch die zu Hunderten zusammengekommenen Reporter blätterten eilig in ihren Listen mit den Papabili, den aussichtsreichsten Kandidaten für die Nachfolge Petri. Vergebens. Erfahrene Vatikanbericht-erstatter hatten vor Beginn des Konklaves ihre eigenen Kandidatenlisten mit denen von Kollegen abgeglichen und über die am häufigsten auftauchenden Namen gründlich recherchiert.
    Kardinal Gardien jedoch hatte nicht zu den
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