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Seemannsbraut: Eine 40000 Kilometer lange Liebesgeschichte (German Edition)

Seemannsbraut: Eine 40000 Kilometer lange Liebesgeschichte (German Edition)

Titel: Seemannsbraut: Eine 40000 Kilometer lange Liebesgeschichte (German Edition)
Autoren: Nancy Krahlisch
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schmal. Aber das machte uns nichts aus.
    Wir trafen uns fast täglich. Wenn wir uns einmal nicht treffen konnten, schoben wir uns kleine Botschaften unter der Tür durch. Ich war verliebt, es fühlte sich gut an. Damals machte ich mir keine Gedanken über eine Zukunft als Seemannsbraut. Ich war 21. Ich hatte nicht vor, den Mann fürs Leben zu finden.
    Dass die Sache ernst war, merkte ich, als Heribert zu seinem zweiten Praktikumssemester aufbrach. Die Zeit davor war schrecklich. Ich fing an, die Tage und Stunden bis zum Abschied zu zählen. Wir versuchten, die uns verbleibende Zeit besonders zu genießen. Er kochte für mich, wir gingen ins Kino, wir lernten gemeinsam beim Picknick im Park. Heribert ließ sich sogar zu langen Spaziergängen überreden, aber ich ruinierte alles mit meiner schlechten Laune. In Bremen wohnten wir Tür an Tür, wir sahen uns fast täglich. Wie würde es sein, wenn wir uns sechs Monate lang überhaupt nicht sähen?
    Es war Ende März, als er aufbrach. Anfang Oktober würde er wiederkommen. Im März denkt man noch nicht an den Oktober. Im März denkt man an den Frühling. Vielleicht schon an den Sommer. Aber der Oktober ist unendlich weit weg.
    Da er seine Familie noch sehen wollte, die inzwischen in Bayern wohnte, hatte er beschlossen, von München nach Gibraltar zu fliegen. Dort würde er an Bord seines Schiffes gehen. Wir verabschiedeten uns am Bremer Hauptbahnhof. Heribert trug seinen riesigen Seesack auf dem Rücken. Wir standen am Gleis, der ICE fuhr ein. Wir küssten uns wieder und wieder. Heribert stellte sich in den Zug und beugte sich zu mir hinunter. Fast hätte er das Gleichgewicht verloren. Wir küssten uns so lange, bis der Schaffner pfiff. Die Türen des Zuges schlossen sich. Ich konnte Heribert nicht mehr richtig erkennen. Ich winkte meinem eigenen Spiegelbild.
    Bahnhöfe sind nichts für große Abschiede. Bahnhöfe sind etwas für Wochenendbeziehungen. Für den Abschied für ein paar Tage, vielleicht ein paar Wochen. Beim Zug ist man bis zum Schluss dabei. Es gibt keine Sicherheits- und Zollkontrollen. Man hat das Gefühl, einfach einsteigen und mitfahren zu können. Am liebsten hätte ich das auch getan. Aber das ging nicht. Am nächsten Tag begann auch mein Praktikumssemester.
    Für die folgenden Monate zog ich in eine Wohngemeinschaft nach Hamburg. Mein Zimmer in Bremen hatte ich gekündigt. Ich hoffte, es wäre leichter in einer neuen Umgebung, weil mich nicht immer alles an ihn erinnern würde. Aber das war Unsinn. Wenn man einen Menschen vermisst, erinnert alles an ihn. Plötzlich waren überall Schiffe. Nicht nur auf der Elbe. Jeder Film, den ich sah, jedes Buch, das ich las, jedes Lied, das ich hörte: Schiffe. Auch glückliche und verliebte Paare waren überall. Ich hasste es, wenn sie sich vor meinen Augen küssten. Sollen sie doch nach Hause gehen, dachte ich. Manchmal zischte ich das auch im Vorübergehen … und schämte mich danach.
    Ich kaufte mir eine große Weltkarte und hängte sie an die Wand. Immer, wenn Heribert mich anrief, fragte ich nach seiner genauen Position. Ich stellte mich vor die Karte und zeichnete mit dem Zeigefinger seine Route nach. Später markierte ich seine Wege mit roten Wollfäden und klebte Fotos von ihm dorthin, wo er selten entlangfuhr.
    Abends, im Bett, schrieb ich ihm. Keine E-Mails, sondern handgeschriebene Briefe. E-Mails waren teuer. Ich musste mich bei einem Satellitenanbieter anmelden. Jedes Zeichen kostete Geld. Sogar die Leerzeichen. Außerdem landeten alle E-Mails erst einmal beim Kapitän.
    Das Briefschreiben per Hand hatte etwas Heilsames. Es war ein bisschen wie früher, in der Pubertät, mit dem Tagebuch. Ich schrieb ihm, wie es mir ging, was ich den Tag über gemacht hatte, wie sehr ich ihn vermisste. Ich wollte nicht, dass er etwas in meinem Leben verpasste. Ich hatte Angst, wir könnten uns fremd werden.
    Wenn ich zwölf Seiten beschrieben hatte, schickte ich den Brief an seine Reederei, ihm zu Händen, inklusive Schiffsnamen. Sein Schiff hieß White Sun. Weiße Sonne.
    Die Briefe waren oft mehrere Wochen unterwegs. Die Reederei schickte sie an einen Agenten vor Ort. Wenn das Schiff im Hafen einlief, brachte der Agent die Briefe zum Kapitän, der verteilte sie dann an die Besatzung. Manchmal bekam Heribert zwei oder drei Briefe auf einmal. Ich fing an, die Briefe zu numerieren.
    Am Anfang schrieb ich ihm, was in den Nachrichten lief. Ich machte mir Notizen, während ich die Tagesschau sah. Natürlich schickte ich
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