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Wenn er mich findet, bin ich tot

Wenn er mich findet, bin ich tot

Titel: Wenn er mich findet, bin ich tot
Autoren: Elisabeth Rapp
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dich was gefragt«, hakt Sam nach, als ich wieder am Platz bin.
    »Ich mag Tiere. Du auch?«, frage ich ihn und starre unentwegt auf den bös entzündeten Pickel auf seiner Stirn.
    Er wendet sich von mir ab und seiner Zeichenaufgabe zu.
    »Kuck dir mal an, was für ’n Scheiß Tilly da fabriziert.«
    Ich hab das Interesse von Ben erregt und zucke zur Antwort mit den Schultern. Abgeben, Pause, und dann gehen wir raus und besichtigen den Bauplatz.
    Endlich. Es ist schön, das Nichts. Das karge Land. Das viele Wasser. Das Licht. Die klare Luft. Die Stille, von der man nur deshalb weiß, dass sie da ist, weil die Sprüche von Cem, Sam und Lars und das Gekreische von Vanessa und Jana noch hässlicher als üblich klingen.
    Jenseits des Flusses kann ich Russland sehen. Russland – der ehemals böse Ostblock. Kommt es mir nur so vor oder steht da einer und sieht mit dem Fernglas zu uns rüber?
    »Ist das die Grenze da drüben?«, frag ich.
    »Blöde Frage. Willst du etwa rüberschwimmen?«, sagt Lars.
    »Da sieht einer zu uns rüber. Wenn es die Grenze ist, dann ist es vielleicht ein Grenzsoldat.«
    »Und?«, fragt er dumm.
    Und? Ich will wissen, wer uns beobachtet!
    »Außer uns gibt’s nichts, was er anglotzen könnte«, sagt er.
    Stimmt auch wieder. Muss Voito fragen, ob das die russische Grenze ist. Ich zittere vor Kälte.
    »Mir ist kalt.« Sandra bibbert.
    »Wann gibt’s endlich die Thermoklamotten?«, fragt Kolja und macht damit dem Letzten klar, dass Sandra einen Beschützer hat.
    »Nach der Theorie«, sagt Beck.
    Ich dreh mich noch mal um. Die Gestalt am anderen Ufer steht reglos da. Er sieht mich an. Ich weiß es. Ich fühle es. Sein Blick versteift mir die Schulterblätter, als ich den anderen nachlaufe.
    Wir gehen wieder rein und skizzieren die Disko aus Eis.
    Nach dem Mittagessen kündigt Beck an, dass wir am Nachmittag die Statik und die Möglichkeiten der Verschalung besprechen.
    Das heißt, wir werden uns weiter Schulter an Schulter gegenseitig auf die Nerven gehen können. Na super.
    Doch eine Kleinigkeit hat sich zu meinen Gunsten verändert. Man lässt mich in Ruhe. Ich mach es immer auf die gleiche in den Heimen entwickelte Art und Weise. Macht mich jemand an, starre ich ihn oder sie ein bisschen dümmlich an, zeige aber sonst absolut keine Reaktion auf das Gequatsche. Egal, ob er oder sie mich beleidigt oder gelobt oder provoziert hat, ich sag was Belangloses, was passt und irgendwie auch nicht passt. Die meisten Leute vergessen mich dann ziemlich schnell.
    »Du siehst aus wie Kagura Tsuchimiya«, sagt Sandra und starrt zur Abwechslung mich an.
    Keine Ahnung, mit wem sie mich vergleicht. Niemand außer ihr weiß es. »Tilly?« »Hä?« »Was?« »Wie wer?«
    Sandras blöder Spruch zerrt mich hinter dem Vorhang des Vergessens vor und stellt mich in den Mittelpunkt der geballten Aufmerksamkeit. Ich könnte kotzen.
    »Kagura ist eine Agentin der Umweltbehörde, ein Manga-Charakter. Sie ist eine Pistolenschwertkämpferin«, erklärt Sandra. »Ihre Spezialwaffe heißt …«
    »Du hast sie ja nicht alle«, falle ich ihr ins Wort undkonzentriere mich verbissen auf die Verschalungstechnik meiner Jugendherberge.
    »Hoho! Bang-bang-bang!«
    Die Kerle kämpfen mit unsichtbaren Spezialwaffen.
    »Doch, doch, du siehst ihr ähnlich«, widerspricht Sandra. »Du siehst überhaupt wie ein Manga-Mädchen aus. Mit deinen riesigen Augen und den kohlrabenschwarzen Zottelhaaren …«
    Sandra ist nicht zu bremsen, also lenke ich ab: »Ich finde, Cem hat was von ’nem Action-Held. Vanessa ist Miss Polarlicht und du sieht aus wie Dakota Fanning.«
    Die Genannten posen.
    »Und was ist mit mir?«, kreischt Jana.
    »Jana Beller?«, schlägt Ben vor.
    Die Topmodel-Sache klärt die Angelegenheit. Es hagelt Model-Namen in Verbindung mit geil, scharf, porno …
    Bis Lars, der Blödmann, bei Sandra nachfragt: »Wie heißt die Spezialwaffe?«
    »Das Pistolenschwert?«, fragt sie zurück.
    Lars nickt.
    »Michael #12«, sagt sie.
    Tja, das war’s. Für die nächste Stunde sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt, wieso ich als Manga-Agentin mit einer Sozialpädagogen-Spezialwaffe für die Umwelt kämpfe.
    »Bisschen mehr Respekt! Wenn ihr nicht sofort die Klappe haltet, und zwar ALLE ! , wird das Abendessen gestrichen!«
    Kann sein, dass Michael Beck das Ganze genauso wenig witzig findet wie ich, bloß ich lasse es mir nicht anmerken.
    Der Tag vergeht. Noch ein Tag geht dahin.
    Eine Reihe von Tagen zieht an mir vorüber.
    20. 09.
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