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Wenn er mich findet, bin ich tot

Wenn er mich findet, bin ich tot

Titel: Wenn er mich findet, bin ich tot
Autoren: Elisabeth Rapp
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Gekeife losgeht.
    »Du hast am meisten Platz.« Vanessa, eisig.
    Ich: »Ich hab Polypen, und Sandra hat am wenigsten Platz. Ihr müsst nach rechts rücken. Da geht noch was. Und ich besorg Sandra ’ne Wand.«
    »Und ’n Laken.« Unter diesen Bedingungen scheint Sandra einverstanden zu sein.
    Doch Vanessa will Stress. »Hä? Polypen?« Ihre Stimme besteht nur aus schrillen Obertönen.
    Also sage ich leise: »Ich schnarche. Wenn ich zwischen euch liege, kann keine pennen. Klar?«
    »Wir haben noch drei Minuten.« Sandra hat genug.
    Mit vereinten Kräften verschieben wir Doppelbetten plus Spinde Richtung Klo.
    »Wenn ihr pissen geht, können wir nicht schlafen«, jammert Jana, als wir fertig sind.
    »Legt euch auf die Betten. Ich muss mal.« Der Härtetest:Ich schließ die Klotür ab, pinkle, furze laut, zieh die Spülung ab, dreh die Dusche auf und zu und geh wieder raus. »Und? Wie war’s?«
    Na ja, gut, okay , murmelt es aus den Kojen.
    Vier Minuten zu spät sitzen wir im Küchencontainer an den Tischen.
    »So, dann können wir jetzt anfangen«, sagt Tonberg.
    »Ich hab kein Laken«, sagt Paolo.
    Sandras und mein Finger flitzen in die Höh. »Wir auch nicht.«
    Und dann meldet sich noch einer, den Beck Kolja nennt. »Hab auch keins.«
    Kolja ist der, der im Bus neben Paolos Füßen geknackt hat. Selbst unter totalen Außenseitern sind Sandra, ich, Paolo und Kolja die absoluten Außenseiter mit unserem dringenden Bedürfnis nach Distanz. Wir kriegen vier zusätzliche Laken.
    Vorm Essen stellen sich Michael Beck und sein Kollege, Stefan Tonberg, vor. Beck ist jünger als Tonberg, so um die vierzig, und tut cooler, als er ist. Immerhin will er aussteigen und hat noch berufliche Visionen, obwohl er Sozialpädagoge ist. Tonberg hat einen angegrauten Bürstenschnitt und wirkt abgeklärter als Beck. Beide machen auf alte Hasen, die mit jahrelanger Erfahrung Gruppen wie unsre für den EPM-Dachverband betreuen.
    Wir wiederum demonstrieren Gleichgültigkeit ihrem Vortrag gegenüber, die meisten von uns durch konzentriertes Herumdrücken auf den Mobiltelefonen.
    »Handys her.«
    Tonberg sammelt sie so schnell ein, dass der Sturm der Entrüstung erst danach losbricht.
    »Was soll denn der Scheiß!« Sandra wird richtig laut. »Wenn ich mich nicht jeden Tag bei meiner Omi melde, stirbt sie vor Angst!«
    »Du kannst sie vom Büro aus anrufen. Kein Problem.«
    Sandra: »Ich will nicht, dass ihr an mir dranklebt, wenn ich telefoniere!«
    »Dann gehen wir eben raus.«
    »Ich will aber mein Handy!!!«
    Die Mehrheit schließt sich der Forderung an.
    Tonberg donnert: »Ruhe!« Und tatsächlich wird es leiser. »Ihr seid dran. Stellt euch vor. Einer nach dem andern.«
    Ein absolutes Desaster.
    »Also, isch bin Cem …« Nuschel, nuschel.
    Der Bodenrotzer aus dem Bus.
    Was erwarten die? Dass wir unsere Vorstrafen, Macken und traurigen Lebensgeschichten erzählen? Können sie vergessen. Ich hab Sandra, Paolo und Kolja auf meiner Liste, und das ist mehr, als ich von der beschissenen Maßnahme erwartet habe. Wir sind grade erst angekommen, leckt mich! Dass sie mein Handy einkassiert haben, ist mir schnuppe. Anrufen will ich nicht, und angerufen werden will ich erst recht nicht.
    Also stell ich mich hin und sage: »Ich bin Tilly. Ich brauch ’ne Wand für Sandra. Rigips, Decken, Planen, irgendwas, weil wir in unsrem Container versuchen, so was wie Privatsphäre für alle herzustellen. Ist das verboten?«
    »Aber nein!« Natürlich nicht! Beck und Tonberg reagieren euphorisch auf so viel löbliche Eigeninitiative . Morgen wird sich was finden, versprechen sie und überschlagen sich beinah.
    »Gut«, ich setz mich wieder hin.
    Voito Riski stellt sich auch hin, grinst mich an und redet auf Englisch los.
    Das Problem ist, ich kann eigentlich kein Englisch, aber ich verstehe jedes Wort. Wieso? Keine Ahnung! Ich kann mich nicht erinnern, dass es mir jemals jemand beigebracht hat, von den lächerlichen Schulstunden abgesehen. Und das ist nur eine Sache von vielen in meinem Leben, für die es absolut keine Erklärung gibt, und wegen denen ich mein verrücktes Leben so satthabe. Wenn mich wer direkt auf Englisch anlabert, und ich bin nicht darauf gefasst, packen mich nacktes Grauen, Panik, Todesangst. Ein Flashback, meinen die Psychologen, und von der Sorte hatte ich mit reichlich vielen zu tun. Und jetzt, als ich Riski reden höre, kriege ich keine Luft mehr, mir wird schwindelig, und ich klammere mich an der Tischkante fest.
    Beck übersetzt,
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