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Liebe am Don

Liebe am Don

Titel: Liebe am Don
Autoren: Heinz G. Konsalik
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E RSTES K APITEL
    Der Blitz schlug ein, als niemand in der Kirche war.
    Vater Ifan Matwejewitsch Lukin hatte draußen im Garten gearbeitet und die Bohnen angehäufelt, als der Regen begann, ein völlig unplanmäßiger Regen in dieser Jahreszeit, in der alles grünte und blühte und der schwere Duft des Wermutkrautes sich vermischte mit dem süßen Hauch der Kirschblüten, ein Odem, der über die Steppe schwebte und mit der Strömung des Flusses nach Süden getragen wurde. Plötzlich war das helle Blau des Himmels dunkelgrau geworden, aus dem Norden pfiff ein Wind heran, trieb dicke Wolken über den Don und ließ es regnen, als bräche der Himmel ein. Ifan hatte sich schimpfend in den Schutz eines alten Schuppens gestellt, stützte sich auf den Schaufelstiel und starrte mißmutig in die dicken prasselnden Tropfen. Da geschah es.
    Ein Zucken in den Wolken, ein heller zischender Strahl, darauf ein Krachen, daß sich das Trommelfell bog, Vater Ifan bekam weiche Knie und bekreuzigte sich, es roch sogar nach Schwefel, als sei der Satan selbst unter die Menschen gefahren … dann schlossen sich die Wolken, der Donner grollte dumpf, und vorbei war alles. Selbst der Regen versiegte, der Wind trieb die graue geballte Masse weg über den Fluß, das Blau des Himmels schälte sich wieder aus treibenden Wolkenfetzen, der herbe Duft der getränkten Erde schwebte über den Gärten. Nur ein Blitz war es gewesen, ein völlig widersinniger Blitz, aber er hatte in Perjekopsskaja eingeschlagen: in die alte hölzerne, rosa und gelb gestrichene Kirche.
    Ifan Matwejewitsch sah es sofort, denn in dem Dach klaffte plötzlich ein Loch.
    »Welch ein Unglück!« schrie er und warf die Schaufel weg. »Warum in die Kirche? Gibt es nicht genug Häuser von ungläubigen Genossen? Immer trifft es die Falschen!«
    Er rannte durch den Garten, raffte das lange schwarze Popengewand und ließ seinen weißen Bart im Wind wehen. In der Kirche roch es noch stärker nach Brand und Schwefel als draußen, doch beim ersten Blick bemerkte Ifan nichts, was zerstört war. Das gezackte Loch in der Decke wies den Weg, den der Blitz genommen hatte, auf dem Steinboden waren drei Platten zersplittert, und schon wollte Ifan aufatmen und dem heiligen Wladimir ein Loblied singen, als er erstarrte und weite, vom Schrecken aufgerissene Augen bekam.
    Der Blitz war durch die Ikonastase gefahren, durch die Wand mit den bunten Heiligenbildern, und hatte die goldgrundige Ikone des Wladimir in zwei Teile zerrissen.
    Ifan Matwejewitsch setzte sich auf die Stufen vor der Ikonastase, verbarg beide Hände unter seinen Bart und seufzte tief.
    Der heilige Wladimir war der Schutzpatron von Perjekopsskaja. Man muß dieses Perjekopsskaja kennen, um zu verstehen, was das bedeutete. Ein elendes Nest ist es an den seichten Ufern des Don, ein Bauernflecken mit Holzhäusern, Blockhütten, einem Steinhaus für den Dorfsowjet, einem langgestreckten Bau, der als Fest- und Versammlungssaal dient, einer großen Banja, einer Kollektivscheune und einem riesigen Stall für die Schweinezucht der Kolchose ›Triumph der Revolution‹. Eine breite Straße führt durch das Dorf, immer am Ufer des Don entlang, vorüber an den Gärten mit den geflochtenen Zäunen oder den Palisaden aus Knüppelholz. Es ist ein friedliches Dorf, auch wenn seine Bewohner berühmt waren für ihre kriegerische Wildheit. Die Kosaken von Perjekopsskaja, das waren Kerle gewesen, die in allen Kriegen immer an der Spitze ritten, verwachsen mit ihren schnellen, halbhohen, struppigen Pferden. Wenn sie die Lanzen fällten oder die breiten Kosakensäbel schwangen und mit heulendem Geschrei ihre Attacken ritten, fiel den Gegnern das Herz in die Hosen. Sonst aber waren sie fleißige Bauern, galten als wankelmütige Kommunisten und wurden in Woronesch, wo die Distriktregierung saß, seit jeher kritisch beobachtet.
    Es gab so vieles, was die Don-Kosaken von anderen Russen unterschied. Sie hingen am alten, an der Tradition, obwohl die rote Fahne über dem Steinhaus des Dorfältesten wehte. Seitdem vor Jahrhunderten die Tataren den Don und die Wolga hinaufgezogen waren bis vor Woronesch, spukte etwas von einem unbeugsamen Freiheitsdrang im Blut der Kosaken. Sie verprügelten sowjetische Kommissare, wenn ihnen deren Ansichten nicht paßten, ehrten trotz intensiver Propaganda aus Moskau ihre Popen und besuchten die alten Kirchen, als habe es nie einen Kulturkampf und eine Entmachtung der Religion gegeben. Sie leisteten sich weiterhin ihre
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