Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn er mich findet, bin ich tot

Wenn er mich findet, bin ich tot

Titel: Wenn er mich findet, bin ich tot
Autoren: Elisabeth Rapp
Vom Netzwerk:
über die Köpfe weg unbestimmt nach hinten in die Ferne schweift. Ich entscheide mich für den drittletzten Platz Gangseite und lass mich fallen. Das Mädchen vor mir mit dem glattenfeinen Haar dreht sich beiläufig um und scannt die Sitzverteilung ein. Auch so eine, die alles unter Kontrolle haben muss, denke ich. Ist ja auch kein Wunder: vier Mädchen, sieben Jungs. Mann! Wie bescheuert ist das? Bis auf die beiden vorne, die zusammenglucken, sitzen alle allein. Blickkontakt wird vermieden. Keiner will mit der falschen Antwort auf die »Was-guckst-du?«-Frage eine Schlägerei provozieren. Die beiden Betreuer erklären etwas.
    Interessieren tut es niemanden.
    Der Bus tuckert los, zwanzig Kilometer Schotterweg nordwärts. Oben wogt Polarlicht, unten schimmert der Boden frostig hell. Der Wald ist schwarz und schweigt.
    Ich setze Paolo auf meine Liste. Weltallsuppe und Rieseniglu sind immerhin Worte. Außerdem sieht er aus wie mein Bruder. Wir haben die gleiche Haar- und Augenfarbe. Schwarz.
    Rechter Hand taucht ein grünlich leuchtender See auf, und ich sehe Container, aus denen Licht fällt. Wir sind da.

3
Im Nirgendwo
    Unser Gepäck landet, mehr geworfen als hingestellt, vor der Krüppelkiefer auf dem Schotterweg. Der Busfahrer klettert aus dem Laderaum, sagt etwas Unaussprechliches und ist weg. Er hat es eilig, sehnt sich vermutlich nach der Zivilisation. Ivalo ist der größte Ort der Gemeinde Inari. Und Inari hat insgesamt siebentausend Einwohner auf 17.000 Quadratkilometern. Siebentausend, das klingt magisch. Der Busfahrer ist einer von ihnen. Wir nicht. Wir leben in Containern im Nirgendwo. Im äußersten Nordosten Finnlands. Im Nichts. 150  Kilometer bis zum Eismeer, ein paar Kilometer vor Norwegen. Sollte jemals die Sonne wieder aufgehen, kann ich im Osten rüber nach Russland sehen. Sollte ich rüberlaufen, werde ich erschossen.
    »Hyvää iltaa!«
    Im Licht der geöffneten Tür winkt ein drahtiger Typ aus dem größten Container zu uns herüber.
    »Hallo, Voito!«, grüßt Tonberg zurück.
    »Das ist Voito Riski, unser Bauleiter«, erklärt Beck und winkt dem Finnen zu, der wieder im Inneren des Containers verschwindet. »Ich sag euch jetzt, wo ihr wohnt. Da bringt ihr dann zuerst einmal euer Gepäck unter.«
    Die drei Gruppen-Container gehen an uns. Vier Jungs sollen ihr Zeug in den Container Nummer 2 bringen und die anderen drei in die Nummer 4.
    »Vanessa, Jana, Sandra und Tilly, euer Container hat die Nummer 6.«
    Die Kerle grölen prompt. Bescheuert. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs … »Ha, ha, ha!« Sieben, acht, neun, zehn … Null Reaktion.
    »In zehn Minuten treffen wir uns im Küchencontainer«, unterbricht Stefan Tonberg nüchtern das Brüllgelächter.
    Ich schließe mit mir eine Wette ab, dass Paolo in den unterbelegten Container einziehen wird, und gewinne.
    Die Gruppenunterkünfte sind flankiert von drei kleineren Containern. Kontrollposten, hier sind die Betreuer untergebracht. Das Konzept ist klar, denke ich und stürme los. Und wenn es mich meine Fingernägel kostet, ich krall mir das Bett am Ende. Keinesfalls penn ich zwischen Vanessa und/oder Jana/Sandra. Aber ich bin sowieso als Erste an der Blechdose Nummer 6 angelangt, weil ich keinen Trolley habe. Kaum kriege ich die Tür aufgestemmt, schlägt mir die Hitze wie eine Gummiwärmflasche ins Gesicht.
    Rechts an der Tür sind die Symbole 00 +aufgeklebt, Klo und Dusche. Ich sprinte nach hinten bis zur Wand, knall meinen Rucksack aufs Bett und hab meinen Kram eingeräumt, bevor die anderen eintrudeln und losjammern.
    »Fuck, draußen arschkalt, hier irre heiß.« Blablabla.
    Blöd ist die Raumaufteilung nicht. Jede hat drei Spinde, nebeneinander in den Raum hineingestellt, sodass die Betten voneinander abgetrennt sind.
    »Tilly«, sag ich, als die Langhaarige auf das Bett neben mir starrt.
    »Sandra« wirft mir einen eiskalten Blick zu, reißt das Laken aus ihrem Bett und spannt es von meinem letzten Spind zu ihrem. Zack, hat sie einen relativ privaten, blickdichten Raum und wird mir dadurch fast sympathisch.
    Vanessa und Jana, die beiden Blondinen, brauchen einen Moment, um die Lage zu sondieren, aber dann bricht ein Höllenlärm los. Sie stellen ihre Betten zusammen und mauern sich mit ihren insgesamt sechs Spinden ein.
    Sehr gut. Wer hat schon Bock, immer an ihren Betten vorbei aufs Klo zu latschen? Niemand. Mein Laken spanne ich vom Spind zur Wand, weil ich für mein Endstück keinen Flur brauche und bin zufrieden, als das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher