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Knochenbrecher (German Edition)

Knochenbrecher (German Edition)

Titel: Knochenbrecher (German Edition)
Autoren: Bernd Flessner
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    »Meine Patienten werden manchmal gesund. Natürlich nur, wenn ihre Zeit nicht um ist. In diesem Fall müssen wir alle abkratzen.«
    George Bernard Shaw, Zu wahr, um gut zu sein (1870)
     
     
     
    »Nein, dieses Spiel lohnt den Einsatz wirklich nicht. Warum in aller Welt riskieren Sie um einer nichtigen, vergänglichen Lust willen die großen Fähigkeiten, die Ihnen verliehen worden sind? Bedenken Sie auch, dass ich nicht nur als Freund so zu Ihnen spreche, sondern als Arzt, der bis zu einem gewissen Grade für Ihre Gesundheit verantwortlich ist.«
     Sir Arthur Conan Doyle, Das Zeichen der Vier (1890)
     
     
     
    »Junger Freund«, sage ich, »dein Fehler ist: Du hast keinen Überblick. Ich, der ich schon in allen Krankenstuben, weit und breit, gewesen bin, sage dir: Deine Wunde ist so übel nicht.«
     Franz Kafka, Ein Landarzt ( 1919)
     
     
     
    »Ich denke manchmal: Krankheit und Sterben sind eigentlich nicht ernst, sie sind mehr so eine Art Bummelei, Ernst gibt es genau genommen nur im Leben da unten. Ich glaube, dass du das mit der Zeit schon verstehen wirst, wenn du erst länger hier oben bist.«
    Thomas Mann, Der Zauberberg (1924)
     
     
     
     
     
    1
    Für heute war Schluss. Friedjof Suhrmann steckte den frisch gereinigten Pinsel zu den anderen in die große, rostige Konservendose, deren kaum noch lesbares Etikett unbeirrt Essiggurken anpries. Ein paar Tage noch, höchstens eine Woche, dann würde er seinen lang gehegten Traum endlich ausgeträumt haben, und zwar nicht, weil dessen Realisierung gescheitert, sondern weil sie gelungen war. Er würde schlicht aufhören zu träumen, aufwachen und zumindest in seinen Urlauben so leben, wie er es sich immer gewünscht hatte. Wobei das oft zweifelhafte »immer« in derartigen Aussagen für ihn tatsächlich galt, denn der Traum begleitete ihn schon seit seinem sechsten oder siebten Lebensjahr. Noch dazu hatte er das seltene Glück, dass seine Frau seinen Traum teilte. Wenige Sätze und ein paar Bilder, die er mit der Hand in die Kneipenluft geworfen hatte, hatten ausgereicht, sie unheilbar zu infizieren.
    Suhrmann räumte die moosgrüne Farbe, den Terpentinersatz, die Lappen und Pinsel in die selbstgezimmerte Farbkiste und richtete sich langsam auf. Die gebückte Haltung, die er nun endlich aufgeben konnte, hinterließ einen vertrauten Schmerz in seinem Kreuz. Auch mit diesen Attacken würde es nun bald vorbei sein. Die unlackierten Flecken waren in den vergangenen Stunden rasant geschrumpft und nur mehr die letzten Indizien für die Nachlässigkeit und Faulheit des Vorbesitzers, der dieses Prachtstück fast auf sein Gewissen geladen hätte, sofern er je eines besessen hatte. Zwei Jahre hatte Suhrmann mit ihm verhandeln müssen, bevor er überhaupt zu einem Verkauf bereit gewesen war. Erstaunlicherweise war dann der Preis eine Sache von zehn Minuten gewesen. Zehn Minuten, die Suhrmann nie vergessen würde. Zehn Minuten, in denen er alles auf eine Karte gesetzt hatte, in denen er über sich selbst hinausgewachsen war und den Ausgebufften gemimt hatte. Den ukrainischen Autohändler vor Augen, dem er vor Jahren seinen alten Passat, ohne es eigentlich zu wollen, fast geschenkt hatte, war er stur geblieben und hatte so lange aus dem Restaurationsobjekt ein Wrack gemacht, bis der Widerstand gebrochen war. Dabei hatte er auch die verlockende Zahlungspraktik des routinierten Ukrainers übernommen und Bargeld in einem Koffer mitgebracht, und zwar genau die Summe, die er ausgeben wollte und konnte. Eine Verhandlungsreserve hatte er natürlich in der Innentasche in petto gehabt. Kein Scheck, keine Überweisung, kein Warten auf den Zahlungseingang, keine juristische Nachspielzeit. Bargeld und Vertrag, hier und jetzt. Nachzählen und unterschreiben. Das hatte den alten Mann schließlich überzeugt. Der Koffer voller Geld. Im Fernsehen hätte er das schon einmal gesehen, hatte der Verlierer der Partie noch angemerkt und dann mit zittriger Hand seine magere Rente aufgebessert. Immer wieder wanderten diese Bilder durch Suhrmanns Kopf und ließen ein Lächeln über sein Gesicht huschen, das nur seine Frau und wenige enge Freunde zu deuten gewusst hätten.
    Suhrmann tastete die Taschen seines an einigen Stellen moosgrünen Jeanshemdes nach Zigaretten ab. Bis auf eine zerdrückte war die Packung leer. Ihm blieb nichts anderes übrig, als nach unten zu gehen, wo eine halbe Stange auf ihn wartete. Außerdem konnte er sich dann auch gleich einen Belohnungswhiskey spendieren
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