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Wenn er mich findet, bin ich tot

Wenn er mich findet, bin ich tot

Titel: Wenn er mich findet, bin ich tot
Autoren: Elisabeth Rapp
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auf dem Gemeinschafts programm herumreiten würde.
    Die finnische Sprache hat nicht ein Wort, das man von irgendeiner anderen Sprache ableiten kann. Katastrophe. Riski kauft, ohne zu fragen, in dem Wintersportladen eine knallrote Wintersportmütze und Funktionsunterwäsche für mich. Ich sag nichts dazu, weil er derart mit der Verkäuferin rumturtelt, dass ich mir solange das sauteure GPS-Teil für Geländeläufer klauen kann.
    Sie schnappt nach Luft vor Lachen und Riski röhrt. »Hohoho, kleine Frau, ich bin ein Elchbulle.«
    Sie jauchzt als Antwort: »Haha! Nein, so was! Hoho, hihi!«
    Krass. Das kann man nicht mehr turteln nennen! Das lässt den Taubenschlag hinter sich und geht direkt in das Liebesleben der Elche über. Die Stirnlampe finde ich auch ohne Hilfe der Elchkuh. Und die Jacke auch. Sie ist blau, hat drei rote Längsstreifen und ist wahnsinnig teuer.
    Ich finde sie chic.
    Sägeblätter, zig Pakete Schrauben, extra harte Bits für den Akkuschrauber, Winkel, Klopapier, ein Sack Kartoffeln … Riski kauft. Ich schleppe Paket um Paket zum Auto.
    Wir steuern den ALKO-Laden an. Die Kisten und Kartons muss er selber schleppen, ich rühre mich nicht vom Beifahrersitz. Meiner nervtötenden Gewohnheit folgend kontrolliere ich die Umgebung. Außer einem Mann, der hinterm Steuer etwas in sein TomTom eintippt und den ich dadurch sofort als Ortsfremden einschätze, finde ich keinen Grund zur Beunruhigung. Trotzdem macht mich Ivalo durch die unglaubliche Platzverschwendung fertig. Gebäude, Wohnhäuser, Einkaufszentrum, Kreisverkehr, alles ist von riesigen Freiflächen umgeben. Siebentausend Einwohner auf 17.000 Quadratkilometern. Platz für jeden, ohne Ende. Ich könnte aufatmen, wenn ich es könnte.
    Nach Riskis Alkoholbeschaffung geht’s weiter zum Fischladen. Beck und Tonberg haben in den letzten Tagen vergeblich die Angel ausgeworfen. Da ihre Zöglinge mittlerweile in der Praxis angelangt sind und wir den ganzen Tag über malochen müssen, hatten sie genug Zeit dafür. Angebissen hat nichts.
    Riski geht hinter den Verkaufstresen, kauft eine Unmenge fangfrischer Fische und lässt sie ausnehmen. Ich warte. Es dauert unglaublich lange, weil Riski zuerst die Fischzeitung liest, mit der die Fische eingepackt werden. Die Fischverkäuferin wartet und zwinkert mir zu. Ich warte und verdrehe die Augen. Die spinnen, die Finnen. Total.
    In einer abgefahrenen Blockhütte, die Einrichtung Resopal rustikal , essen wir Rentier-Steak mit Pilzsoße und Pommes. Schmatz, lecker! Es stimmt, dass die Finnen nicht ununterbrochen reden, und sie labern auch nicht besonders laut. Dafür starren sie sehr beredt. Ich kann sie richtig laut starren hören.
    »Warum starren die uns so an?«, frage ich Riski leise, ohne zu den starrenden Finnen zurückzustarren.
    »Wieso nicht? Du bist ein schönes, junges Mädchen. Mich starren sie nicht an«, sagt Riski und grinst. »Das sind Rentierhirten, die sehen immer nur den Arsch von ihren Rentieren. Du bist für die eine willkommene Abwechslung.«
    Aha? Bloß für meinen ausgeprägten Verfolgungswahn ist das keine Abwechslung, sondern Megastress.
    »Und der da?« Ich deute mit dem Kopf zum Fensterplatz.
    Riski starrt den Mann an und sagt: »Der starrt doch gar nicht.«
    Eben, genau wie der auf dem Flughafen in Helsinki. Wenn alle starren, fällt mir ein Nichtstarrer extrem auf. Ich versuche, einen Blick auf sein Schuhwerk zu erhaschen, aber da steht er auf und geht zur Theke. Was er an den Füßen trägt, kann ich von meinem Platz aus nicht sehen.
    »Ich kenne nicht jeden. Bin nicht mal sicher, ob das ein Finne ist«, sagt Riski und mampft.
    »Gibt’s hier um die Zeit viele Fremde?«
    »Nein.«
    Mir ist der Appetit vergangen. Dauernd sehe ich über meine Schulter. Wo ist er hin? Aufs Klo?
    10. 11. 09, Berlin
    Ich weiß, dass ER hinter mir ist. Nicht umdrehen. Er darf nicht wissen, dass ich es weiß. Sonst weiß er, dass ich weiß, dass er gefährlich ist. Aber dann halte ich es nicht mehr aus und renne los. Panik.
    Seit Tagen fühle ich mich beobachtet, verfolgt.
    Ich muss weg aus dem Heim.
    Ich hab Angst. Mir wird der Stadttrubel zu viel. Ich will in meinen Container. Doch nach dem Essen muss Riski erst noch mit jedem Einwohner Ivalos quatschen. Wie gesagt, nicht viel und auch nicht laut, aber mit jedem. Das läppert sich. Schweigsam, die Finnen? Von wegen. Als wir losfahren, ist es dunkel. Ich drehe mich so oft und unauffällig wie möglich um. In der Ferne flackert ein Scheinwerferlicht
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